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14. Mai 2016 | Uggetti hat ab sofort nur noch Hausarrest

Lodis Bürgermeister aus dem Gefängnis entlassen

Lodi (gro) Simone Uggetti kann das Wochenende zu Hause verbringen. Seit 3. Mai war der Bürgermeister der italienischen Partnerstadt Lodi in San Vittore, dem Gefängnis von Pavia, inhaftiert gewesen. Er wird verdächtigt, bei der Vorbereitung einer Ausschreibung getrickst zu haben, als es darum ging die zwei städtischen Freiluftbäder an private Betreiber zu vergeben. Hinzu gekommen war die Sorge der Ermittlungsbehörden, dass der Bürgermeister die Spuren seines vermutlichen Fehlverhaltens verwischen könnte, wenn er auf freiem Fuss bleibe. Inzwischen ist ausgiebig ermittelt worden, und die Untersuchungen gehen weiter. Damit der Bürgermeister dabei auch künftig nicht im Wege steht, wurde er unter Hausarrest gestellt.

Rathausmitarbeiterin zeigte Uggetti bei der Finanzpolizei an

Es war eine Mitarbeiterin des Bürgermeisters, die ihren Chef bei der Finanzpolizei anzeigte, weil er die Ausschreibungsunterlagen immer wieder abgeändert haben wollte. Die Rathausangestellte hatte dabei wiederholt gegen ihr besseres Wissen handeln müssen. Als sie erneut dazu gezwungen werden sollte, sei sie - so die Anklage - von Uggetti zunehmend unter Druck gesetzt worden. Da entschloss sich die Mitarbeiterin schliesslich zur Anzeige.

Wochenlang wurde der Bürgermeister ausspioniert

Auf die Anzeige hin wurde der Bürgermeister überwacht und dabei sowohl privat als auch bei dienstlichen Telefongesprächen wochenlang abgehört. Als sich bei der Abhöraktion abzeichnete, dass das Stadtoberhaupt wegen der leidigen Vergabe mit Ermittlungen der Polizeibehörden rechne und überlege, vorsichthalber verräterische E-Mails zu löschen, griffen die Ermittler zu: Uggetti wurde verhaftet und ins Gefängnis von Pavia gesteckt. Mit ihm musste ein Anwalt in den Knast, der den Sportverein berät, dem der Bürgermeister den Betrieb der zwei Freiluftbäder zuschanzen sollte (und wohl auch zuschanzen wollte).

Hierzulande würde nicht so scharf ermittelt

Hierzulande, in Deutschland, wäre ein solches Vorgehen kaum denkbar. Eine Mitarbeiterin, die beabsichtigte den Oberbürgermeister wegen eines Konfliktes mit Ausschreibungstexten anzuzeigen, würde von den Behörden sehr wahrscheinlich auf einen ganz anderen Dienstweg verwiesen, etwa auf den Personalrat der Stadtverwaltung oder auf den Gemeinderat, das Kontrollorgan der Stadtregierung. Denkbar wäre ferner eine Dienstaufsichtsbeschwerde, über die dann das Regierungspräsidium – nach ausführlicher Korrespondenz mit dem Rathaus – befinden müsste. Und kaum jemand würde sich wundern, wenn das Verfahren mit einem warnenden Hinweis oder einer massvollen Rüge zu Ende gehen würde. Das vergleichsweise rüde Vorgehen der Ermittlungsbehörden in Lodi hat auch in Italien Kritik gefunden.

Bedenken im Obersten Richterrat Italiens

Die Inhaftierung eines Stadtoberhaupts „wegen Störung einer öffentlichen Vergabe“ hat in Italien sogar den CSM (Consiglio Superiore della Magistratura) beschäftigt. Dazu muss man wissen, dass der CSM das höchste Organ des Italienischen Justizwesens ist, ein Gremium der Selbstverwaltung aus 24 Persönlichkeiten, die zu zwei Dritteln von der italienischen Richterschaft, zu einem Drittel vom Parlament gewählt sind. Hinzu kommen drei „geborene“ Mitglieder: der Staatspräsident, der den Vorsitz innehat und die zwei höchsten Repräsentanten des Kassationsgerichtshofs (zu vergleichen mit dem deutschen Bundesverfassungsgericht). Der CSM soll die Unabhängigkeit der Justiz Italiens garantieren, vor allem die Unabhängigkeit von der Politik. Giuseppe Fanfani, gelernter Strafverteidiger und früherer Bürgermeister von Arezzo (nahe Florenz), eines der gewählten Mitglieder des Obersten Richterrats, bezeichnete die Inhaftierung Uggettis als „ungerechtfertigt und auf alle Fälle ungewöhnlich“. Es überwog jedoch die Ansicht, dass sich ein Stadtoberhaupt stets „vorbildlich“ verhalten müsse, und es sei nun mal nicht vorbildlich, wenn sich ein Bürgermeister um eine nach seinem Gusto „massgeschneiderte“ Ausschreibung bemühe.

Uggetti: „Ich arbeite mit den Ermittlungsbehörden zusammen“

Lodis Bürgermeister, seit Juni 2013 im Amt, hat die „Massschneiderei“ am Ausschreibungstext für die kommunalen Freiluftbäder eingeräumt, aber betont, er habe stets die Absicht verfolgt „zum Nutzen der Stadt Lodi und seiner Bürger“ zu handeln. In landesweit ausgestrahlten TV-Sendungen erhielt Uggetti zudem viel Unterstützung von Kollegen, die betonten, dass erfolgreiche Kommunalpolitik häufig Kompromisse nötig mache, bei denen das formale Recht manchmal durchaus „ein wenig gedehnt“ werde. Alles andere sei weltfremd.

Kleine Affäre mit grosser politischer Wirkung

So winzig klein die Affäre im Heimatland der ‘Ndrangheta, der Camorra, der Cosa Nostra und eines Berlusconi anmutet‚ so nachhaltig ist der Widerhall in der grossen Politik. Schliesslich ist Uggettis unmittelbarer Vorgänger im Amt des Stadtoberhaupts von Lodi ein gewisser Lorenzo Guerrini gewesen, und der ist eine der rechten Hände von Matteo Renzi, dem Regierungschef in Rom. Uggetti ist ein alter Freund dieser mächtigen Männer, alle zu Hause im Partito Democratico (PD), der stärksten politischen Kraft Italiens im regierenden Mitte-Links-Parteienspektrum. Sofort nach seiner Verhaftung hat Uggetti alle seine Parteiämter niedergelegt, um die PD nicht zu beschädigen, während Renzi demonstrativ auf die Unabhängigkeit der Justiz hinwies.

Unbeirrbare Untersuchungsrichterinnen

Diese Unabhängigkeit haben zwei mit dem Fall betraute Untersuchungsrichterinnen durch ihre ebenso demonstrative Unbeirrbarkeit bestätigt. Auch wenn sie die Kooperationsbereitschaft Uggettis würdigten, so hoben sie doch auch stets darauf ab, dass der Bürgermeister womöglich Beweise verschwinden lasse, wenn man ihn nicht wegsperre. Auch jetzt ist Uggetti keineswegs frei, sondern unter Hausarrest. Man will im Rathaus von Lodi weiter ermitteln, auch um eventuelle Mittäter zu finden. - Als Uggetti zum Wochenende in Lodi ankam, bestand er darauf, „seine“ Strasse, die via Magenta im Zentrum der Stadt, bis zu seinem Haus zu Fuss zurückzulegen. Etliche Lodigiani, vor allem junge Menschen, standen Spalier, als Simone Uggetti, mit Tränen in den Augen, nach zehn Tagen Haft endlich wieder nach Hause gehen durfte.

Kleine Nachbemerkung zum italienischen Rechtssystem

Das italienische Justizsystem unterscheidet sich in vieler Hinsicht vom deutschen System. Herausragender Unterschied ist die Unabhängigkeit der Justiz. In Deutschland sind die meisten Landesjustizminister befugt, etwa der Staatsanwaltschaft, also den Ermittlungsbehörden, Weisungen zu erteilen. Auch die Richterschaft geniesst mehr Unabhängigkeit. So hat zum Beispiel ein schlichter Amtsrichter durch sein sehr grundsätzlich ausformuliertes Urteil zum Verbot eines atomaren Projekts erreicht, dass in Italien nicht ein einziges Atomkraftwerk gebaut werden konnte.




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