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4. Juli 2016 | Michael Lünstroth verlässt den „Südkurier“

Der ausgebremste Redakteur und das grosse Schweigen

Konstanz (gro) Michael Lünstroth verlasse den „Südkurier“, meldet Holger Reiles Internetpostille namens „Seemoz“. Dies habe der seit 2007 in der Konstanzer Lokalredaktion tätige Redakteur auf Anfrage bestätigt. Damit dürfte demnächst ein öffentlich diskutiertes Kapitel zu Ende gehen, das durch viele Spekulationen und ein grosses Schweigen charakterisiert ist. Lünstroth, der vor zehn Jahren, noch bevor er nach Konstanz wechselte, mit einer sechsteiligen Serie in der Heimatzeitung einfallsreich „Gegen den Europafrust“ anschrieb, ist der beste Mann in der Konstanzer Lokalredaktion. Die wird nun ab Ende September - laut “Seemoz” - ohne ihn auskommen müssen.

Intendant Christoph Nix und die „Scala“-Geschichte

Michael Lünstroth geht offensichtlich nicht freiwillig. Es sieht vielmehr ganz so aus, als sei er beim „Südkurier“ innerbetrieblich ausgebremst worden, nachdem er Oberbürgermeister Uli Burchardt allzu ungehörig angegriffen hatte. Lünstroth verdächtigte Burchardt im Zusammenhang mit vergeblichen Bemühungen das „Scala“-Kino zu retten, „unter einem anhaltenden Realitätsverlust“ zu leiden. Lünstroth machte sich dabei die Auffassung der Bürgerinitiative „Rettet das Scala“ zu Eigen, die nach Einschaltung eines Berliner Anwaltsbüros überzeugt war, dass die Stadtverwaltung das beliebte Kino durchaus retten könnte. Umso mehr, als sich auch Christoph Nix, der Intendant des Stadttheaters, dieser Sicht anschloss.

Eigentlich eine ganz normale Angelegenheit

Dass ein Redakteur geht oder gehen muss, ist eigentlich eine ganz normale Angelegenheit. Wegen des so genannten, aber wenig bekannten Tendenzschutzes ist die Entfernung eines redaktionellen Mitarbeiters, auch wenn er fest angestellt ist, aus Gründen erlaubt, die in „normalen“ Arbeitsverhältnissen nicht gelten. So hat auch der „Südkurier“ in jüngerer Zeit einige Redakteure, darunter Lokalchefs und auch den einen oder anderen Chefredakteur, entfernt. Normalerweise geschieht das geräuschlos. Auch im Falle Lünstroth ist das Stillschweigen anhaltend.

Die Omertà reicht vom Betriebsrat bis zum Oberbürgermeister

Öffentlich geworden ist die Angelegenheit deswegen, weil der Konflikt und dessen Behandlung ans Online-Organ „Seemoz“ durchgestochen und von dessen Vorkämpfer Holger Reile (Stadtrat der Linken Liste Konstanz/LLK) mit ausserordentlicher Hingabe verfolgt wird. Dank Reiles Engagement wurde der „Fall Lünstroth“ bundesweit aufgegriffen, sowohl vom Südwestrundfunk als auch von den beiden Stuttgarter Zeitungen, der „TAZ”, dem „Neuen Deutschland“ und auch von der Deutschen Presseagentur/dpa. Die Hauptbeteiligten schweigen trotz dieser ungewöhnlich grossen Resonanz nach wie vor: Die Omertà reicht vom Konstanzer Oberbürgermeister über den “Südkurier”-Chefredakteur, den Geschäftsführer und den Betriebsrat des Medienunternehmens, das zur “Augsburger Allgemeinen” gehört, bis hinab zum Chef der Konstanzer Lokalredaktion - und bis zu Lünstroth selbst. Pit Wuhrer von der Gewerkschaft v.erdi kritisiert diese Wand des Schweigens mit scharfen Worten; er warnt vor einem “Angriff auf die Pressefreiheit”.

Vermutet wird das Bemühen um ein Amtsblatt

Zu den Spekulationen über die Hintergründe des Konflikts gehört der begründete Verdacht, dass sowohl die Stadt als auch der Landkreis ein eigenes Amtsblatt herausbringen wollen, um die Kosten für Amtliche Bekanntmachungen, die bisher im „Südkurier“ erscheinen, einzusparen. Dieses Bemühen ist uralt, schon vor über 30 Jahren und seither immer wieder, wird darüber in (un)schöner Regelmässigkeit zwischen den Zeitungsverlagen und den kommunalen Behörden verhandelt. Lünstroth soll solche Verhandlungen mit seiner Kritik an Burchardt behindert haben. Aber das ist, wie gesagt, Spekulation.

Keine Stellungnahme des Medienhauses

Ungewöhnlich ist, dass es bis jetzt keinerlei Stellungnahme aus dem Medienhaus „Südkurier“ gibt. Obwohl in den Medien darüber allenthalben berichtet wird, und dies meist mit warnend erhobenem Zeigefinger, man möge darauf achten, dass die Pressefreiheit nicht beschädigt werde. In diesem Fall wird von Eingeweihten spekuliert, die Chefredaktion sehe sich im Falle einer Stellungnahme gezwungen, die Massregelung Lünstroths mit der einen oder anderen Verfehlung aus dessen Vergangenheit zu begründen. Schliesslich hat der Redakteur auch den früheren Geschäftsführer der Philharmonie hart und durchaus auch mal unfair angegangen, auch den Theaterintendanten Christoph Nix. Doch ausgerechnet Nix war einer der Ersten, die sich mit Verve gegen eine Disziplinierung Lündstroths wandten: „Um Gottes Willen, lasst den Lünstroth doch schreiben wie er will”, sagte Nix, “der macht das doch gut“!




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Ein Kommentar

  1. 1. Christel Thorbecke | http://www.konstanzerblog.de

    Das ist ja nicht mehr zum Aushalten! In welcher Welt leben wir denn?
    Viele Menschen haben sich in Konstanz für den beliebten Redakteur eingesetzt, haben Briefe geschrieben, sich getroffen und sich besprochen… Da erscheint wie Deus ex Machine wo die Empörung weit über Konstanz hinaus wächst ein “lächelnder Lünstroth” ( Volker Reile im Seemoz) in der Gemeinderatssitzung und berichtet am nächsten Tag, am übernächsten Tag… Michael Lünstroth ist wieder da! Eine große Erleichterung ergreift die Kämpferinnen und Kämpfer für die Meinungs- und Pressefreiheit. Unser Engagement hat etwas gebracht! So schlimm sind die Verhältnisse hier nicht! Nebenbei landen beruhigende Antwortbriefe von Herrn Rau in der Mailbox der Kritiker: Alles vorbei, wieder im Lot! Aus mit den Verschwörungstheorien und wilden Spekulationen…
    Und jetzt das. Und will der Südkurier weiter schweigen? Und was war eigentlich los?
    Bitte Herr Gropper, lassen Sie uns wissen, wenn Sie etwas erfahren! Man kann sich nur noch on-line informieren. Wie in China.

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