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19. August 2016 | Projekt Flüchtlingsheim Litzelstetten gescheitert

Zuletzt hat sogar die Landesregierung Bedenken

Konstanz-Litzelstetten (gro) Die geplante Flüchtlingsunterkunft am südlichen Ortseingang von Litzelstetten wird nicht gebaut. Der Widerstand aus der Bevölkerung und massive rechtliche Bedenken hatten das Projekt schon im Vorfeld ins Schleudern gebracht. Zuletzt äusserte sich auch die Landesregierung skeptisch gegenüber dem Vorhaben. Man sei aber zuversichtlich, dass es der Stadtverwaltung gelingen werde, eine Flüchtlingsunterkunft an einem geeigneteren Standort zu realisieren, wo auch „dem Naturschutz und dem Nachbarschutz Rechnung getragen“ werde, heisst es in einem Schreiben aus Stuttgart. Den Todesstoss erfuhr das Projekt nun dadurch, dass zwei Miteigentümer des fraglichen Grundstücks ihre Einwilligung zur Bebauung widerrufen haben.

Die Kommune muss für die Zweit-Unterbringung sorgen

Landkreise und Kommunen teilen sich die Aufgabe, Flüchtlingen menschenwürdige Behausungen zur Verfügung zu stellen. Der Landkreis organisiert die so genannten Erstunterkünfte, häufig Turnhallen und andere Grossanlagen, während die einzelnen Kommunen dafür zu sorgen haben, dass die Flüchtlinge nach spätestens 24 Monaten ein ordentlicheres Dach über den Kopf bekommen, vor allem jene, die mit dauerhafter Aufnahme in Deutschland rechnen können. Eine solche Anschlussunterkunft sollte in Litzelstetten entstehen, gegenüber Alfred Spickers Hotel- und Restaurationsbetrieb „Volapük“.

Die Sicht auf die Bodenseelandschaft wäre verstellt

Das Projekt am Ortseingang von Litzelstetten sollte drei Bauten umfassen: drei zwei- bis dreistöckige, knapp 11 Meter hohe Häuser mit je drei Obergeschossen und je einem Tiefgeschoss. Die drei Bauten, in denen etwa 60 Personen Platz fänden, sollten auf dem Wiesengrundstück gegenüber dem Anwesen „Volapük“ auf der anderen Seite der Strasse gestaffelt angeordnet werden. Sie würden die Sicht auf den Bodensee und die Insel Mainau verstellen. Und das in einem so genannten Aussenbereich des Ortsetters, innerhalb eines Grünzuges und damit ausserhalb des fürs Bauen planerisch erfassten Bereichs.

Frühere Baugesuche abgelehnt

Dort trotzdem bauen zu dürfen war in den vergangenen Jahren mehrfach versucht, die Genehmigung aber jedes Mal versagt worden. Denn bei dem Gelände handelt es sich um ein Schutzgebiet. Mittlerweile steht die freie Sicht von der Strasse Im Loh auf den See und die Mainau gemäss dem Bodenseeleitbild gewisssermassen unter Denkmalschutz. Da mag den bauwilligen Grundstückseignern die Suche nach einem Platz für ein Flüchtlingsheim, wie man in Litzelstetten vermutet, gerade recht gekommen sein. Denn dank einer Abänderung im Bundesbaugesetz, mit der die Genehmigung für Flüchtlingsunterkünfte erleichtert werden soll, lässt sich neuerdings anscheinend auch dort bauen, wo es eigentlich nicht gestattet ist. Als Dreingaben winken zudem eine enorme Wertsteigerung des Grundstücks und ein saftiger Zustupf aus Steuergeldern.

Honorige Mitbürger mit Einfluss

Trotz drohender Verstösse gegen den Natur- und Landschaftsschutz und anderer Einschränkungen hat eine Bauvoranfrage zu dem Projekt Flüchtlingsunterkunft den Litzelstetter Ortschaftsrat im vergangenen Juni anstandslos und ohne eine einzige Gegenstimme passiert. Schliesslich handelt es sich bei den bauwilligen Grundstückseigentümern um honorige Mitbürger mit Einfluss. Der Löwenanteil des Areals gehört den Brüdern Harald und Armin Nops sowie Andreas Scherf, der den Nops freundschaftlich verbunden ist. Gemeinsam reichte man die Bauvoranfrage ein, begleitet von der Zustimmung zweier weiterer Grundstücksbesitzer, die allerdings nur vergleichsweise winzige Anteile an dem fraglichen Gesamtareal haben.

Warnung vor dem Missbrauch der Flüchtlingsnot

Harald Nops, der frühere Kreiskämmerer, ist Verwaltungschef des Landratsamts. Und da man weiss, dass der Landkreisverwaltung in der Flüchtlingsfrage eine Menge Arbeit und Verantwortung aufgebürdet ist, mochte der Ortschaftsrat einer dringend benötigten Unterkunft wohl nicht im Wege stehen, vermuten verständnisvolle Litzelstetter. Andere jedoch warnen: Man dürfe die Not der Flüchtlinge nicht als Gelegenheit benutzen, sich über gesetzliche Bestimmungen hinwegzusetzen. Die aktuellen Änderungen im Bundesbaugesetz seien kein „Freischein“, sondern dürften nur dann angewandt werden, wenn gesetzeskonforme Lösungen nicht weiterführen.

Zentrum des öffentlichen Widerstands

Niemand ist von dem geplanten Projekt so betroffen wie Alfred Spicker mit seinem Hotel- und Restaurantbetrieb „Volapük“, dem grössten Arbeitgeber Litzelstettens. So ist es kein Wunder, dass sich dort das Zentrum des bürgerlichen Widerstands herausbildete. Dominique C. Emerich steht dem Unternehmer zur Seite. Die Konstanzer Anwältin listet in einer ans Baurechtsamt adressierten Stellungnahme die zahlreichen Verstösse auf, die dem von Nops & Co. verfolgten Projekt entgegenstehen, angefangen von der Nichtbeachtung des geltenden Flächennutzungsplans über die Verletzung des Siedlungsleitbildes bis hin zu den Verstössen gegen das Nachbarrecht. Das Bauvorhaben, schreibt Dominique Emerich, sei überdies nicht nur „wesensfremd…, sondern bedeute auch „eine erhebliche Verunstaltung des Orts- und Landschaftsbildes“.

„Es müssen Planungsalternativen aufgezeigt werden“

Aus der Novellierung des Bundesbaugesetzes zur Erleichterung des Baus von Flüchtlingsunterkünften, schreibt die Anwältin weiter, lasse sich im vorliegenden Fall „keine Genehmigungsfähigkeit“ ableiten. Es seien schliesslich keineswegs Planungsalternativen ernsthaft verfolgt oder aufgezeigt worden. Es bestehe jedenfalls keine Notwendigkeit, ausgerechnet „an dieser Stelle“ eine Flüchtlingsunterkunft zu bauen. Emerichs siebenseitige Stellungnahme, ein vernichtendes juristisches Gutachten zu dem umstrittenen Projekt, warnt das Konstanzer Baurechtsamt eindringlich vor einer Genehmigung des Vorhabens.

Brief ans Umweltministerium

Eingeschaltet hat sich auch Dennis Riehle. Der vielfach engagierte Litzelstetter, Autor, Publizist und Personalcoach, hatte sich bereits Ende Juni ans Stuttgarter Ministerium für Umwelt, Energie und Klima gewandt. Er berichtete der Landesregierung vom „Unbehagen“ in der Bevölkerung wegen der geplanten Flüchtlingsunterkunft. Dieses Unbehagen sei nicht etwa wegen des bevorstehenden Zuzugs von Flüchtlingen aufgekommen, sondern wegen der Wahl des Standortes für die Unterkunft. Durch die geplante Unterbringung in einem Randgebiet sei eine „Ghettoisierung“ zu befürchten, die die Integration der Flüchtlinge ins gesellschaftliche Leben erschwere. Die Antwort auf sein Schreiben erhielt Riehle im August. In Stuttgart sieht man die Standortwahl für die Flüchtlingsunterkunft, wie oben (im ersten Absatz) erwähnt, ebenfalls skeptisch.

Trotz Widerruf: Der Widerstand bleibt vorerst

Wie eingangs ferner erwähnt haben zwei Miteigentümer des Grundstücks für die geplante Flüchtlingsunterkunft diese Woche ihre Bereitschaft, beim Bau mitzumachen, widerrufen. Fürs Baurechtsamt, das in diesen Tagen über den (verbindlichen) Bauvorentscheid hätte befinden müssen, ist der Fall damit vorerst erledigt. Was weiter geschieht, ist ungewiss. Denkbar ist, dass Harald und Armin Nops mit Andreas Scherf nun ohne die beiden „Abtrünnigen“ planen - und versuchen, die Flüchtlingsunterkunft ausschliesslich auf ihren eigenen Grundstücken unterzubringen. Darum werden Wachsamkeit und Widerstand, wie Alfred Spicker versichert, am „Volapük“ aufrecht erhalten. Auch die Unterschriftslisten für die Bürgerinnen und Bürger, die sich gegen das Vorhaben und für mehr Transparenz beim Umgang mit der Flüchtlingspolitik aussprechen, bleiben weiter ausgelegt. Fast 300 Bürgerinnen und Bürger haben inzwischen mit ihrer Unterschrift bekundet, dass sie mit dem Standort der in Litzelstetten geplanten Flüchtlingsunterkunft nicht einverstanden sind,

Bild: Frieder Schindele




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