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23.06.2005 | "Nibelungen" in der Spiegelhalle

Siegfried als Hallodri
Konstanz (gro) Christoph Diem (links) ist mit einer radikal verdichteten Fassung von Friedrich Hebbels "Nibelungen" ein großer Wurf gelungen. Das Premierenpublikum war begeistert. Die dreieinhalb Stunden Spielzeit, unterbrochen von zwei Pausen, vergingen wie im Fluge. Man erlebte Rocker Rockerbräute, große Gefühle, einen E-Geiger, einen gealterten Hippie und einen Siegfried als Hallodri. Das opulent und einfallsreich inszenierte Stück wird in der Spiegelhalle gezeigt. Nach der Premiere am gestrigen Mittwoch sind bereits heute und morgen weitere Aufführungen.

Regisseur Diem hat die blutrünstige Geschichte (Dramaturgie: Ursula Tinnes) in die Gegenwart verlegt. König Gunther (Klaus Redlin) und sein Gefolge geben einen düsteren Rockerhaufen ab, und der düsterste von allen, der zu Mord, Totschlag und Untergang wild Entschlossene, ist Hagen Tronje (Georg Mitterspieler). Siegfried (Oliver S. Bürgin), der blond gelockte Lebemann, den Abenteuer und Frauen viel mehr interessieren als Macht und Gold, hat in dieser Umgebung keine Chance.
Seine Mörder haben aber nicht mit Kriemhild (Theresa Berlage) gerechnet, der Frau, die Siegfried liebte und die nun all ihre Kraft in die Rache steckt. Am Ende und nach etlichen weiteren Meuchelmorden und nachdem ihr hasserfülltes Intrigantenspiel nicht ganz ans Ziel geführt hat, legt Kriemhild den Mörder ihres Mannes eben selber um.
Bis es so weit ist, lieben, verhöhnen, verdächtigen, verraten und meucheln sie sich auf der von Terese Riis gestalteten Bühne, dass es eine wahre Freude ist: Brunhild (Melanie von Sass) als frühgermanische Feministin, Ute (Eva Brunner) die resignierende Witwe und Mutter, Giselher (Christian Hilger) und Gerenot (David Benito Garcia), die Brüder König Gunthers, und Markgraf Rüdeger (Johannes Schmidt). Selbst ein blonder Knabe, Onit (Florian Beilschmidt) wird dahin gerafft.
Mit Ausnahme Siegfrieds sind die Männer die ganze Zeit schlecht drauf. Nur wenn ausnahmweise mal geschmust wird, kommt Laune auf. Ganz anders die Frauen. Die Amme namens Frigga (Gertrud Kohl) ist vorlaut und kess, Rüdegers liebreizende Tochter Gudrun (Nina Schopka) stakst kapriziös durchs Geschehen, Brunhild (Melanie von Sass) ist einfach mitreissend stinkesauer, und Kriemhild ist von eiseshellem Hass erfüllt.
Eine Sonderrolle spielt Volker, der Geiger. Kai Christian Moritz geleitet kahl geschoren und in schwarzes Leder gewandet (Kostüme: Inge Medert) mit einem elektronisch gesteuerten Instrument durch das "Trauerspiel in drei Abteilungen". Virtuos untermalt Moritz mit der E-Geige immer wieder das dramatische Geschehen, meist mit dunkel pulsierendem Blubbern, seltener mit hellen, schnellen Synthesizer-Weisen.
Hunnenkönig Attila (Klaus Meininger) ist ein später Hippie, der Grausamkeiten (eigentlich) verabscheut. Haare raufend wird er dennoch in den Strudel der Gewalt gezogen, samt seinem munteren, bunt gewandeten Diener Werbel (Johannes Maximilian Klama). Am Ende sitzen sechs blutüberströmte Leichen in Attilas geräumiger Jurte, während am vorderen Rand der Bühne vier muntere Frauen tänzeln.
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