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02./03.07.2005 | Weil neue Nachbarn meckern

Amtsschimmel bedrängt Seekuh
Konstanz (gro) Der Seekuh-Biergarten, der älteste noch heute bewirtete Biergarten der Stadt, ist unter bürokratischen Druck geraten. Ein zugezogener Nachbar, der sich gestört fühlt, aber unerkannt bleiben will, hat den Amtschimmel aufgescheucht. Als Folge davon muss Seekuh-Wirt Norbert Elsner (links) den Biergarten ab sofort, außer Samstags, eine Stunde früher schließen als bisher, und zwar um Mitternacht statt, wie bisher, um 1 Uhr. Die Stadtverwaltung, die damit gegen den landesweiten Trend handelt, behält sich überdies vor, die Öffnungszeiten ab August weiter einzuschränken.

Die Genehmigungsbehörde der Stadt beruft sich auf acht Beschwerdeführer, die alle im ehemaligen Haus Hecht (Fischmarkt 1) wohnen. Allerdings kam nicht ein einziger von ihnen zu dem Gesprächstermin, den Klaus Holzer, Leiter der Abteilung Öffentliche Sicherheit/Gewerbewesen, vergangene Woche angeordnet hatte. Trotzdem wurden die Vorwürfe aufrecht erhalten.
Angenehme Überraschung
Angenehm überrascht wurde Elsner bei dem Termin im Rathaus von einer jungen Frau, aus dem Haus Hecht. Er nahm an, sie sei anwesend, weil sie zu den acht Beschwerdeführern gehöre. Das Gegenteil stimmte: Die Studentin, die von dem Termin bei Klaus Holzer Kenntnis hatte, war gekommen, um zu versichern und zu betonen, dass sie sich von dem Biergarten nebenan keineswegs belästigt fühle. Als sie ins Haus Hecht zog, habe sie vom Biergarten nebenan selbstverständlich gewusst.
Gewusst haben mussten es auch die acht Beschwerdeführer. Denn den Seekuh-Biergarten mit seinen prächtigen Kastanienbäumen gibt es schon sehr viel länger als Wohnungen im ehemaligen Hecht. Das Haus wurde vor etwa 300 Jahren vom Vorarlberger Rokkoko-Baumeister Peter Thumb als Hotel errichtet, als noble Herberge, in der kurz nach der Eröffnung auch der französische Schriftsteller und Staatsrechtler Baron Charles de Montesquieu während einer Erkundungsreise durch Süddeutschland Quartier bezog.
Einst Büro und Kantine
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde aus dem Hotel Hecht ein Bürogebäude mit Kantine für die Beschäftigten des "Südkurier" und der Druckerei Am Fischmarkt. Wohnungen beherbergt das Gebäude erst seit seiner jüngsten Sanierung, die im September 1999 abgeschlossen wurde.
Da gab es den Seekuh-Biergarten schon Jahrzehnte, und wer damals in die Wohnungen des sanierten Hauses Hecht zog, musste wissen, was die angestammte Umgebung bereit hielt. Die Seekuh mit ihrem Biergarten war damals der sommerliche Hauptanziehungspunkt im Bereich der Altstadt - ein Treffpunkt der Jugend, weit über Konstanz hinaus bekannt.
Verkehr macht mehr Lärm
Zum Glück für die Wirte - seinerzeit wurde das Lokal von Norbert Elsner und Harry Lohrer (bis vor kurzem Exil) betrieben - befindet sich die Seekuh am Ostrand der Altstadt, gesäumt von Bahnlinie und Konzilstraße. Der Verkehr machte schon damals so viel Lärm, dass die Stadtverwaltung den Betrieb des Biergartens auch tief in den Abend hinein erlauben konnte, ohne eine nennenswerte zusätzliche Belästigung der Nachbarschaft befürchten zu müssen.
Das ging gut bis zum Sommer 2004. Dann begann der Ärger: Obwohl der Zustrom in den Seekuh-Garten nach Eröffnung der großen neuen Biergärten im Hafenareal und nach dem allgemeinen Ausbau der gastronomischen Außenplätze stark nachgelassen hatte, beschwerte sich ein offensichtlich neu ins Haus Hecht gezogener Zeitgenosse und verlangte von der Stadt eine frühere Schließung des benachbarten Biergartens. Die Folge im vergangenen September: ein Bescheid der Stadt an Norbert Elsner, dass der Biergarten früher zu schließen habe, spätestens um Mitternacht, und zwar auch am Samstag.
Elsner fühlte sich in seinen Rechten beschnitten und legte Widerspruch ein. Schließlich landete der Fall beim Regierungspräsidium Freiburg, wo man weiteren Klärungsbedarf sah und die Angelegenheit unlängst für eine Stellungnahme an die Konstanzer Stadtverwaltung zurück verwies.
Akte blieb liegen
Die Akte mit der Beschwerde war zunächst liegen geblieben, weil die Biergartensaison im Herbst 2004 bereits vorbei war. Auf Nachfrage Elsners wollte Klaus Holzers Abteilung eine Umfrage unter Nachbarn der Seekuh organisieren, und schließlich kam es nun, am 30. Juni um 14.30 Uhr, zum eingangs erwähnten Termin. Und obwohl dazu kein einziger der Beschwerdeführer erschien, erhielt der Seekuh-Wirt am Freitag, 1. Juli, die Verfügung zugestellt, wonach der Biergarten künftig um 24 Uhr, von Samstag auf Sonntag um 1 Uhr zu schließen ist. Elsner wird außerdem dazu verpflichtet, die Neuregelung gut sichtbar für seine Gäste öffentlich anzuschlagen und zur Ruhe aufzufordern. Das Ganze gilt im Übrigen nur probeweise. Lärmmessungen sollen erst noch folgen, für August werde dann neu entschieden.
Alle möglichen Lärmquellen
Den Lärmmessungen sieht Norbert Elsner "gelassen entgegen". "Vielleicht glaubt dann endlich auch die Behörde, dass der Straßen- und Zugverkehr meistens lauter ist als der Biergarten." Und vielleicht werde dann auch einmal berücksichtigt, dass schräg gegenüber der Seekuh die Bushaltestelle sei, an der sich nächtliche Heimkehrer häufig lautstark versammeln. Abgesehen davon hat Elsner das Gefühl, dass alle möglichen anderen Lärmquellen seinem Biergarten unterstellt werden, auch mehr oder weniger laute Gespräche von Gruppen, die nach einem Gaststättenbesuch in der inneren Altstadt auf dem Weg zur Bushaltestelle Konzil an der Seekuh vorbei kommen müssen.
(gro) Die gewiss unverdächtige Stuttgarter Landesregierung hat vor fünf Jahren die allgemeinen Sperrzeiten für gastronomische Betriebe neu festgelegt. Danach können Lokale von Sonntag bis Freitag landesweit bis 2 Uhr, in der Nacht von Samstag auf Sonntag bis 3 Uhr geöffnet bleiben. Die meisten Gemeinden und Städte haben diese Regelung, anders als Konstanz, unverändert übernommen. Sie sind damit der regierungsamtlichen Auffassung gefolgt, dass veränderte Lebensgewohnheiten in allgemeinen Verordnungen Berücksichtigung finden müssen. Damit verbunden ist die Überzeugung, dass man Rahmenbedingungen am besten so absteckt, dass sie ein hohes Maß an Bewegungsfreiheit lassen. Ein Biergarten an einer auch nachts stark befahrenen Hauptstraße ist weniger Störfaktor, als belebendes Element. Deshalb wäre im Falle der geradezu legendären Konstanzer "Seekuh" Entgegenkommen und Großzügigkeit dringend zu empfehlen. Im Übrigen sind Biergärten in unseren Breiten so stark vom Wetter abhängig, dass auch im Sommer höchstens einige Wochen lang die gesamte Öffnungszeit genutzt werden kann. Wenn es aber einen wirklich schönen, lauen Sommerabend gibt, sollte es einem Wirt auch erlaubt sein, seine Gäste dazubehalten, statt sie mit dem Hinweis auf behördlich verordnete Sperrzeiten vorzeitig wegzuschicken. Die Behörden und ihre Vertreter müssen verschiedene Interessen abwägen, auch das Ruhebedürfnis von Mitmenschen, die sich am Verkehrslärm weniger stören als an "menschlichen" Geräuschen. Bürokratischer Aufwand hilft da nicht weiter. Der taugt bestenfalls dazu, sich dahinter zu verstecken.
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