21.07.2005 | Die Eisdiele im Wandel der Zeit

Wo sich die Versuchung neuerdings auftürmt

Konstanz (gro) Jedes Jahr eröffnet in Konstanz eine neue Eisdiele, und neuerdings türmt sich die süße Versuchung in den Schauvitrinen auch noch verführerisch auf. Das macht mehr Appetit. Dieses "Mehr" ist inzwischen dringend nötig. Denn viele Jahrzehnte lang gab es in Konstanz gerade mal zwei Gelatieri, aus Italien natürlich, wie der Name schon sagt. Inzwischen sind es mindestens 14 Eisdielen, wenn Luigi Pesaro (rechts) richtig gezählt hat, und die Eismacher kommen längst nicht mehr nur aus Italien. Dank moderner Technik ist die Herstellung von "garantiert echtem italienischen Speiseeis" schon lange keine Kunst mehr.

Die Italiener sind aber nach wie vor hervorragend im Geschäft. Denn erstens liefern sie sowohl den größten Teil der Eismaschinen und zweitens kommen auch die wesentlichen Zutaten aus Italien. Es sind Konzentrate, die feinen Marmeladen ähneln, wertvolle, aromatische Basisstoffe, Pasten, die vor Ort komponiert und mit Milch, Wasser und Zucker gemischt werden. Die Hygienevorschriften für die Herstellung von Speiseeis sind nach wie vor sehr streng, und auch bei Luigi Pesaro sieht es im Laboratorio gar nicht aus wie in einer Zuckerbäckerküche, sondern schon eher wie im Labor einer Klinik.

Maschinenpark für 250.000 Euro

Eine moderne Eismaschine der weltweit Ton angebenden Firma Carpigiani, die ihren Hauptsitz bei Bologna hat, ist ab 25.000 Euro zu haben. Sie ist nicht nur zum Mischen da, sondern etwa auch zum Pasteurisieren (Haltbarmachen) frischer Milch. Je teurer die Apparate sind, desto schneller heizen sie auf, und sie kühlen den Inhalt ebenso schnell wieder herab. Milch und Sahne werden bei etwa 70 Grad pasteurisiert. Die Temperatur des fertigen Eises liegt unter dem Gefrierpunkt. Der Maschinenpark einer modernen, leistungsfähigen Eisdiele, wie wir sie an der Marktstätte finden, dürfte ungefähr 250.000 Euro wert sein.

Zuletzt eröffnete in der Altstadt eine neue Eisdiele in der Rosgartenstraße. Sie ähnelt der Eisdiele "Fernando" in der Wessenbergstraße und einem weiteren neueren Eisladen nahe der Schweizer Grenze so sehr, dass immer wieder vermutet wird, es handle sich um drei Niederlassungen ein und des selben Unternehmens. Tatsächlich gehören sie nicht zusammen. Sie sehen sich so ähnlich, weil sie alle drei das Eis in ihren bauchigen Vitrinen so auffällig zur Schau stellen: Das Eis der vorderen Reihe ist nicht in die bekannten, von unten gekühlten Stahlbottiche gefüllt, sondern auf einem flachen Tablett in geradezu exhibitionistischer Manier aufgetürmt.

Kälte von oben

Möglich wird dieser Appetit anregende Aufbau durch eine neue Technik, die stark gekühlte Luft ständig auf die Eishäufen herabsickern lässt und so verhindert, dass sie vorzeitig dahinschmelzen.

Die Pampanins eröffneten vor über 80 Jahren eine Eisdiele in Konstanz, und die Familie de Fanti vom Dolomiti ist auch schon seit über 30 Jahren in dieser Stadt tätig. Die beiden Familien repräsentieren gewissermaßen den Adel der Gelatieri, die vor fast 100 Jahren aus bitterarmen Alpentälern Nordostitaliens auszogen, um Ungarn, Österreich und Süddeutschland mit echt italienischem Eis zu versorgen. Der Siegeszug wurde durch zwei Weltkriege zwar gebremst, war dadurch aber nicht aufzuhalten und führte gegen Ende der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zu einer flächendeckenden Versorgung.

Nachahmer hatten einst keine Chancen

Nachahmer hatten kaum Chancen, denn mit ihrem Know How waren die Italiener allfälligen Konkurrenten stets um mehr als eine Nasenlänge voraus. Dann aber mussten sich auch die Gelatieri der Dolomiten den Gesetzen einer Art der Globalisierung beugen, die auch raffinierte Produktionsmethoden für Geld jedem zur Verfügung stellt. "Was wir allerdings auch heute noch in die Wagschale werfen können, ist unser Sinn für Stil, Geschmack und Gastfreundschaft", sagt Luigi Pesaro, einer der dienstältesten italienischen Gastronomen der Stadt.

Ein gutes italenisches Eis sei immer noch mehr als die gelungene Anfertigung mit einer teuren Maschine. Pesaro: "Es kommt schon auch darauf an, welche Zutaten man sich leistet, auch da gibt es den Mercedes unter den Essenzen, und dann ist da noch die spezielle Komposition mit ganz speziellen Zutaten." Auch Luigi Pesarao muss aber einräumen, dass sich "die Zeiten sehr geändert haben".

Gegenbewegung in Palermo

Vielleicht aber gibt es in nicht allzu ferner Zeit eine Gegenbewegung. Wie zum Beispiel in Siziliens Hauptstadt Palermo, wo manche Eisdielen echt Kult sind, weil sie immer wieder ganz neue Köstlichkeiten hervorbringen und dann die halbe Stadt davon probieren will, etwa von einem Eis mit intensivem Jasmingeschmack oder von einem Sorbet, das nach würzigem Gemüse oder nach gebratenem Tunfisch schmeckt.

Die älteste Eisdiele Palermos, die vor über 175 Jahren gegründete l'antica gelateria Ilardo am Foro Italico ist jeden Abend Treffpunkt für Familien und Flaneure aus aller Welt, und das weniger, weil man von dort so schön auf die Hafenpromenade und aufs Meer hinaus sieht, sondern vielmehr deswegen, weil es dort eine köstliche Cassata Siciliana gibt, die wie vor 175 Jahren aus 21 Zutaten aufwendig und in Handarbeit in sieben Schritten hergestellt wird. Dafür wird nie eine Maschine konstruiert werden können.

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