07./8.09.2005 | Intendantin Schlingmann geht nach Saarbrücken

"Da fällt der Abschied sicher leichter"

Konstanz/Saarbrücken (gro) Dagmar Schlingmann ist am Dienstag dieser Woche zur neuen Generalintendantin des Staatstheaters Saarbrücken berufen worden. Sie wird Konstanz vorzeitig verlassen und ihre neue Aufgabe mit der Spielzeit 2006/2007 übernehmen. Im vergangenen Jahr hatte der Konstanzer Gemeinderat den Vertrag mit Schlingmann, die für das Stadttheater 2000 gewonnen worden war, bis 2009 verlängert. Die Theatermacherin übernimmt in Saarbrücken die Leitung eines Drei-Sparten-Hauses mit Schauspiel, Ballett und Musiktheater (Oper). In Konstanz heißt es, nach Jahren permanenter Mittelverknappung, größter Anstrengungen und nach den jüngsten Streichvorschlägen des städtischen Kulturdezernenten falle der Intendantin der Abschied von Konstanz "sicher leichter" als unter normalen Umständen.

Der Wechsel bringt dem Konstanzer Theaterbetrieb, der seit Jahren einem unguten Spardruck ausgesetzt ist, zusätzlichen Stress. Und eigentlich müsste die Suche nach einer neuen Theaterleiterin sofort beginnen. Doch Kulturbürgermeister Claus Boldt sieht dafür keine Veranlassung. Im Gegenteil, man könne die Personalfrage nun "in aller Ruhe" angehen. Dagmar Schlingmann sei ja noch ein ganzes Jahr im Lande.

Fünf vor 12

Tatsächlich gilt: Höchste Eisenbahn!! Denn jeder neue Intendant bringt einen Stamm von Schauspielern, Regisseuren und Dramaturgen mit an seine neue Wirkungsstätte. Solche Kräfte müssten an ihrem derzeitigen Arbeitsort bis 31. Oktober 2005 (!) kündigen, um zum Beginn der Spielzeit 2005/2006 in Konstanz antreten zu können. Umgekehrt haben bis 31. Oktober jene Theaterleute zu kündigen, die mit Schlingmann nach Saarbrücken gehen. Diese Entwicklung kompliziert auch eine eventuelle Übergangslösung mit bereits vorhandenen Theaterleuten.

Sonne im Gemüt

Während der Handlungsbedarf steigt, sieht Kulturdezernent Boldt fürs Stadttheater trotz der neuerlichen Streich- und Sparankündigungen geradezu rosige Zeiten heraufziehen: Das Theater, findet Boldt, sollte sich freuen, dass über seine Belange derzeit so intensiv diskutiert werde. Die damit verbundene Aufmerksamkeit gebe der Theaterleitung "gute Gelegenheit, ihre Arbeit darzustellen". Die Diskussionen würden ohnehin "ergebnisoffen" geführt. Es sei keineswegs ausgemacht, dass die Spiegelhalle geschlossen und das Sommertheater gestrichen werde. Klar sei nur, dass aus dem 10-Millionen-Euro-Etat für die Konstanzer Kultur 750.000 Euro herauszustreichen seien.

Auch sonst scheint dem Kulturdezernenten die Sonne ins Gemüt: Immer wieder, sagt Boldt, werde er, selbst auf offener Straße, darauf angesprochen, wie Recht er doch habe, wenn er einen populäreren Spielplan fordere. Die Zustimmung, vor allem von älteren Menschen, die ihr Theaterabonnement gekündigt hätten, beeindrucke ihn sehr.

Boldt will Zahlenanalyse

Um den Konstanzer Theaterbetrieb besser zu verstehen, hat Boldt bei der Theaterverwaltung eine Analyse angefordert, in der stehen soll, "wieviel wer und was wo kostet". Nur dann, wenn klar sei, welche Summen exakt den einzelnen Spielstätten zuzuordnen seien, könne auch "qualifiziert" über Einsparungsmöglichkeiten gesprochen werden. Die Analyse soll von der Verwaltung des Theaterbetriebs angefertigt werden. Sie zählt, inklusive Buchhaltung, gerade mal drei Köpfe und dürfte damit die schlankste (und traditionell überlastete) Einheit der Stadtverwaltung sein.

Auch wenn ihm die finanzielle Zuordnung der Kosten auf Spielstätten und Proberäumen immer noch nicht durchscheinend und in letzter Konsequenz klar ist - für die Belange der Schauspieler lässt Claus Boldt ein gewisses Verständnis erkennen: "Da bewegen sich die Gehälter wirklich auf unterstem Niveau", räumt der Kulturdezernent ein. Umso mehr müsse danach gesucht werden, "anderswo und auf andere Weise" zu Einsparungen zu kommen.

Leipold: "Wir wollen das echte Theater"

Im Gemeinderat wird es Claus Boldt einigermaßen schwer haben. Einige Stadträte haben sich kritisch gegenüber den Einsparvorschlägen des Kulturdezernenten geäußert. Jürgen Leipold findet, dass die Argumentation Boldts, konsequent zu Ende gedacht, auf eine Schließung des Theaters hinaus laufe. Wer mehr Populäres auf der Bühne haben wolle, soll den Theaterbetrieb schließen und das Haus für Tourneetheater geöffnet halten.

"Die können das besser", sagt Leipold, Vorsitzender der SPD-Fraktion. Aber gerade das wolle man in Konstanz nicht; hier wolle man das echte Theater, das den "zahllosen ach so populären Mattscheiben- und Kinobildern das lebendige Theater entgegensetzt". Vor allem die Jugend, ergänzt Brigitte Leipold, eine Jugend, die bedrängt sei von Videospiel, DVD und virtuellen Phantasmen, sei ein sehr dankbares Publikum des klassischen Theaters.

Boldts "persönliche Vorstellungen"?

Absolut unpassend und "schon ein wenig kurios" finden es Inge (FGL) und Max Egler (Ex-Verwaltungsdirektor des Stadttheaters), dass sich Bürgermeister Boldt tatsächlich in die Gestaltung des Spielplans einmischen will. Und die eher konservativ gestimmten Neue-Linie-Stadträte Jürgen Wiedemann und Frieder Schindele wundern sich, dass der neue Dezernent "anscheinend gerne darauf verzichtet, sich kundig zu machen". Ganz offensichtlich habe er "Spaß daran, seine ganz persönlichen Reformvorstellungen zur Konstanzer Kulturlandschaft öffentlich zu verkünden".

Etliche Ratsherren und -damen werden von der jüngsten Entwicklung des Konstanzer Kulturlebens erst nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub überrascht. Auf alle Fälle ist kommende Woche, am 18. September, Eröffnung im Stadttheater, der letzten Saison unter Intendantin Schlingmann.

Streichkonzert auf hohem Niveau

Dagmar Schlingmann wurde von der saarländischen Landesregierung für einen Theaterbetrieb angeheuert, dem man bereits vor Monaten empfindliche Kürzungen auferlegte: Die Landeszuschüsse für das Drei-Sparten-Theater werden von 24 auf 18 Millionen Euro zusammengestrichen (zum Vergleich: das Stadttheater Konstanz hat einen Gesamtetat von etwa 5 Millionen Euro). Saarbrückens Theater soll 25 Prozent der Kosten einsparen (in Konstanz werden 7,5 Prozent oder 750.000 Euro an Einsparungen gefordert).

In Saarbrücken haben die Sparmaßnahmen dazu geführt, dass eine Spielstätte des Staatstheaters, das Theater St. Arnual, geschlossen wurde und dass das Programm in er kommenden Spielzeit um insgesamt 5 Produktionen zu vermindert wird. Der Theaterbetrieb wird auf das Haupthaus im Zentrum Saarbrückens, auf die Alte Feuerwache und das Congresshaus konzentriert. Außerdem hat sich inzwischen eine Bürgerinitiative formiert, die dem Abbau des Staatstheaters entgegen arbeitet.

"Die richtige Frau"

Bis Dagmar Schlingmanns Antritt an der Saar dürfte die vorübergehende Reduzierung des Theaterbetriebs vollzogen sein. Generalintendant Josef Schildknecht, der das Saarbrücker Haus seit 1991 leitet, scheidet zum Ende der Spielzeit 2005/06, wie Schlingmann in Konstanz, vorzeitig aus. Er sieht sich außer Stande, die Kürzungen mitzutragen. Schildknecht ist überzeugt davon, dass Dagmar Schlingmann die richtige Frau ist, das Theater, seine Mitarbeiter und Künstler in schweren Zeiten zu führen und zu motivieren und gleichzeitig das Saarbrücker Publikum zu begeistern.

Josef Schildknecht gehörte neben dem Saarländischen Kultusminister Jürgen Schreiner der Findungskommission an, die die neue Theaterleiterin unter zahlreichen Bewerbungen auszusuchen hatte. Dass Barbara Schlingmann das Rennen gemacht hat und nun vor einem bedeutenden Karrieresprung steht, dürfte auch daran liegen, dass sie das Saarbrücker Theaterpublikum in den vergangenen Jahren mit vier Gastinszenierungen überzeugt hatte, zuletzt mit "Macbeth" und Henrik Ibsens "Wildente".

P.S.: Saarbrücken zeigt zum zweiten Mal lebhaftes Interesse an Konstanzer Kulturschaffenden: Vor wenigen Monaten sollte Christian Lorenz, Intendant der Philharmonie Konstanz ins Saarland wechseln, um dort die Orchesterlandschaft zu restrukturieren. Lorenz konnte mit Hilfe einer Gehaltszulage und einer Freiraumzusage überredet werden, am Bodensee zu bleiben.

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