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18. November 2009 | Gründungsurkunde der Israelitischen Gemeinde von 1866

Dachverband schuldet Konstanzern über 500.000 Euro

Konstanz/Karlsruhe (gro) Die Israelitische Religionsgemeinschaft (IRG) Baden schuldet der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Konstanz über 500.000 Euro. Dies geht aus einem Protokoll hervor, das vor gut einem Jahr vom Schieds- und Verwaltungsgericht beim Zentralrat der Juden Deutschlands ausgefertigt worden ist. Diese Schulden erklären nach Ansicht von Eingeweihten den anhaltenden Widerstand des in Karlsruhe ansässigen Verbandes gegen die Anerkennung der Konstanzer Gemeinde, die gerne eine neue Synagoge samt Gemeindezentrum bauen würde.

Der längst fälligen, erneuten und ausdrücklichen Legitimation der Konstanzer Gemeinde dürfte jedoch nichts mehr entgegen stehen: Im Karlsruher Landesarchiv wurde vom Konstanzer Gemeindevorsteher Peter Stiefel mit Hilfe des Konstanzer Stadtarchivs die Gründungsurkunde der Israelitischen Kultusgemeinde Konstanz gefunden und sichergestellt.

Das Recht auf weitgehende Selbständigkeit

Die jetzt im Landesarchiv entdeckte Urkunde aus dem Jahre 1866 (Nr.1216 R Nr.1241) hat entscheidende Wirkung. Mitte der vergangenen Woche hatte Wolfgang Fuhl, der Vorsitzende des Karlsruher Oberrats, eingeräumt, dass sich eine jüdische Gemeinde , der – wie der Konstanzer Kultusgenmeinde - in der Vergangenheit ein eigenes Korporationsrecht zuteil geworden ist, nicht unter das Dach der Israelitischen Religionsgemeinschaft (IRG) begeben müsse. Mit anderen Worten: Nach neuester Lage der Fakten hat die Israelitische Kultusgemeinde Konstanz genau den Status, den sie schon immer für sich beanspruchte: eine eigene, rechtsfähige Körperschaft zu sein, der die Dachorganisation der Juden in Baden nur begrenzt hineinreden kann.

Korrekte Buchführung bescheinigt

Die Israelitische Kultusgemeinde Konstanz hat sich vor knapp zwei Jahren einer gross angelegten Rechnungsprüfung unterworfen. Vorausgegangen war ein Urteil des Schieds- und Verwaltungsgerichts beim jüdischen Zentralrat, das eine solche Prüfung guthiess. Zu prüfen waren „diejenigen Unterlagen, die einen Bezug zu der Verwendung der Landeszuschüsse haben“. Geprüft wurde im Auftrag der IRG Baden vom Karlsruher Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Kurt W. Bechthold. Den Konstanzern wurde korrekte Buchführung bescheinigt. Die IRG Baden hätte gerne alle Tätigkeiten der Konstanzer Gemeinde prüfen lassen, auch die, deren Prüfung vom Zentralrat nicht angeordnet worden war. Auch diesem Ansinnen verschlossen sich die Konstanzer nicht, verlangten aber Gleichbehandlung. Man lasse gerne alles prüfen, erwarte aber, dass dann alle 10 Gemeinden Badens ebenso unter die Lupe genommen würden.

Kein Beschluss, aber Gerüchte

Den von Konstanz erbetenen Beschluss hat der Karlsruher Oberrat bis heute nicht gefasst, trotzdem aber das Gerücht von angeblich dubiosen Geschäften der Konstanzer Gemeinde verbreitet. Tatsächlich sind sämtliche Konten und alle Konstanzer Geschäfte der Israelitischen Kultusgemeinde, auch die Tätigkeit eines bis 2008 geführten Ladens namens „Nisskoscher“, von Steuerberatern und Finanzamt jedes Jahr auf ihre Korrektheit hin testiert und abgerechnet worden. Geregelt ist längst auch die vom Karlsruher Oberrat immer wieder kritisierte Bewirtschaftung des jüdischen Friedhofs. Dazu wurde vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe (AZ 9U230/06) ein Vergleich geschlossen, der festschreibt, dass die Konstanzer – als wahrscheinlich einzige jüdische Gemeinde Badens - ein Drittel ihrer Einnahmen aus der Friedhofsverwaltung nach Karlsruhe abzuführen haben.

Fuhl: „Weniger, beziehungsweise nichts“
Die Konstanzer haben dieses Friedhofsdrittel zwar buchhalterisch erfasst, aber bisher nicht nach Karlsruhe abgeführt. Sie wollen es verrechnen mit den Zahlungen, die ihnen der Karlsruher Oberrat bis heute vorenthält. Der in Lörrach als Anwalt tätige Oberrats-Vorsitzende Wolfgang Fuhl räumt ein, dass die Israelitische Kultusgemeinde in den vergangenen fünf Jahren „weniger, beziehungsweise nichts“ an öffentlichen Mitteln zugewiesen bekam. Stephan J. Kramer, Sekretär des Zentralrats der Juden , hält nach den verschiedenen Verfahren in der Streitsache Oberrat/Israelitische Kultusgemeinde Konstanz unter anderem fest, dass den Konstanzern allein „vom 1. Januar 2004 bis zum 31. März 2008 … mehr als 424.200 Euro“ widerrechtlich vorenthalten worden sind. Inzwischen dürfte sich der ausstehende Betrag auf weit über eine halbe Million Euro belaufen.

Im Jahr 4,5 Millionen aus der Staatskasse

Die vor allem durch die Zuwanderung bettelarmer Famlien aus der ehemaligen Sowjetunion enorm angewachsene Zahl jüdischer Mitbürger macht staatliche Zuwendungen notwendig. Laut dm IRG-Vorsitzenden Wolfgang Fuhl überweist die baden-württemebergische Landesregierung im Jahr etwa 4,5 Mllionen Euro an die Karlsruher Dachorganisation. 70 Prozent dieser Mittel würden an die 10 badischen Gemeinden verteilt; 30 Prozent des Landeszuschusses erhält laut Fuhl der Landesverband für seine Tätigkeit. Die etwa 330 Konstanzer Mitglieder der Iisraelitischen Kultusgeneinde haben zwar seit 2004 ihre Kirchensteuer brav an den Staat abgeführt. Doch weil sich der in Karlsruhe ansässige Dachverband gegen die altangestammte Konstanzer Gemeinde stellt, werden seit Jahren keinerlei Mittel angewiesen.

Das Land lässt die Konstanzer im Regen stehen

Die Nichtversorgung der Israelitischen Kultusgemeinde von Seiten des dafür zuständigen Landes Baden-Württemberg steht im Gegensatz zu einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das am 12. Mai dieses Jahres erging. Laut dem höchstrichterlichen Urteil muss eine Landesregierung dafür sorgen, dass Zuschüsse an anerkannte kirchliche Organisationen nicht nur an Verbände überwiesen werden, sondern auch dafür, dass jede Gemeinde solcher Religionsgemeinschaften in den (anteiligen) Genuss der Staatsmittel kommt. Schliesslich ist es ja auch der Staat, der von den Mitgliedern dieser Religionsgemeinschaften die Kirchensteuer einzieht. Das dürfe keine Einbahnstrasse sein, befand das Gericht; die jeweiligen Gemeindemitglieder hätten im Gegenzug Anspruch auf die vertraglich vereinbarten Zuschüsse des Staates.

Vergeblicher Einigungsvorschlag des Zentralrats

Durch die im Landesarchiv entdeckte Gründungsurkunde und die damit historisch verliehenen Korporationsrechte kann die angestammte Konstanzer Gemeinde Eigentümerin des Synagogengrundstücks Sigismundstrasse 8 bleiben und die Landeszuschüsse zum Bau des neuen Gemeindezentrums in Empfang nehmen und verwalten, und zwar auch nach Ansicht des Zentralrats der Juden Deutschlands. Ein entsprechender Einigunsgvorschlag wurde vom Zentralrat bereits Ende September des vergangenen Jahres unterbreitet.

Die Kuriosität eines kommissarischen Leiters

Während die Israelitische Kultusgemeinde den Vorschlag von Zentralratsssekretär Kramer akzeptiert, mauert die Karlsruher IRG weiter: Die vor über fünf Jahren verfügte, widerrechtloche „Suspendierung“ der Israelitischen Kultusgemeinde ist bis heute nicht zurück genommen worden. Im Gegenteil: Vorige Woche setzte die Karlsruher IRG einen Allensbacher Anwalt als „kommissarischen Leiter“ der Konstanzer Kultusgemeinde ein, der bereits mit einigen Drohungen aufewartete – ein Vorgehen, das weder theologisch noch religiös noch rechtlich korrekt sein dürfte.

Oberrat liegäugelte mit einer dritten Gemeinde

Währenddessen wird die auf Betreiben und mit Unterstützung des Karlsruher Oberrats vor über vier Jahren gegründete (und immer noch in Gründung befindliche) zweite jüdische Gemeinde mehr oder wenig künstlich am Leben erhalten. Ein auch vom Zentralrat als reichlich windig empfundener Vorschlag des Karlsruher Oberrats, eine dritte Gemeinde (die Synagogen-Gemeinde“) zu gründen und darin die beiden vorhandenen Gemeinden aufgehen zu lassen, wurde erwartungsgemäss von allen massgeblichen Kräften verworfen.

Rabbi Teitelbaum und Vorsteher Peter Stiefel

Angesichts der eigentlich unhaltbaren, aber nichtsdestotrotz sturen Haltung des Karlsruher Oberrats entschlossen sich Rabbiner Usi Teitelbaum und der Konstanzer Gemeindevorsteher Peter Stiefel, den vor Jahren verlassenen „Anker“ in der Sigismundstrasse für die Gemeinde in Beschlag zu nehmen. Stiefel und der harte Kern der Israelitischen Kultusgemeinde werden dafür sorgen, dass Konstanz in absehbarer Zeit endlich sein neues jüdisches Gemeindezentrum bekommt.



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