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31. Mai 2010 | Zum Abschied von Reinhard Mayer und seinem Café Bohe

Wo der Rotwein schon mal in Kaffeetassen serviert wird

Konstanz (gro) Es ist eine halbe Stunde vor Mitternacht, und aus der weit offenen Eingangstüre hört man Rudi Schuricke: „Auf Wiederseh’n, auf Wiederseh’n, bleib‘ nicht so lange fern…“. Die geschmeidige Tenorstimme kommt aus dem Café Bohe. Es regnet, die Wessenbergstrasse ist ausgestorben. Auch im „Bohe“ ist kein Mensch mehr. Doch dann sitzt ganz hinten doch noch jemand. Einer, der leise mitsummt: „…denn ohne dich ist’s halb so schön.“ Es ist der Chef persönlich. Reinhard Mayer geniesst die letzten Abende in seiner Konditorei, in seinem Café, wo nach dem Krieg der Rotwein auch schon mal in Kaffeetassen serviert wurde. Reinhard Mayer war damals noch nicht dabei. Aber er kennt die Geschichten. Sie alle sind demnächst endgültig Geschichte. Das „Bohe“ schliesst am 14. Juni 2010, im 149. Jahr seines Bestehens. Endgültig.

Schon der allererste Eigentümer heisst Mayer

Es war ein gewisser Mayer, „aber nicht mit mir verwandt“, der 1861 in der heutigen Wessenbergstrasse 37 eine Zuckerbäckerei aufmachte. Ein gewisser Hotz übernahm den Betrieb 27 Jahre später. Wilhelm Bohe, der Namensgeber, ein vornehmer Mann aus dem Elsass, sei 1912 neuer Eigentümer des süssen Unternehmens geworden, erzählt Mayer weiter. Bei dessen Sohn, bei Willi Bohe, heuerte Reinhard Mayer 1984 an. Bei den Bohes war es, wo der Wein immer wieder mal in Porzellangefässen mit Henkeln serviert wurde, und zwar, wie Mayer heute erzählt, in den frühen Nachkriegsjahren. Damals hatte die französische Besatzungsmacht angeordnet, dass Rotwein aus Sicherheitsgründen nur bis 17 Uhr ausgeschenkt werden durfte. Wer später trotzdem welchen benötigte, erhielt ihn bei Bohe getarnt in Kaffeetassen.

Alte Meister an der Wand

Das Café Bohe, dessen Schaufenster an eine längst versunkene Zuckerbäckerwelt gemahnen, ist auch während seiner letzten Tage eine Entdeckungsreise wert. Man findet eine historische Aufnahme mit dem Grossherzog von Baden und seiner Frau Louise, einer Nichte Kaiser Wilhelms II.. Mayer macht ferner auf einige durchaus ansehnliche Gemälde aufmerksam, etwa auf ein altmeisterliches, an die Schule Rembrandts gemahnendes Bild einer Wein ordernden Wirtin, ferner auf Bodenseelandschaften von Manfred Halder (um 1880), von E.O. Schultheiss (1940) und K. Stadelhofer (1947). Auch historische Fotografien schmücken den Gastraum: Frühe Abblidungen des Café Bohe und Bilder von Maiparaden während des Dritten Reiches. Karl Lehmann, der heutige Kardinal-Erzbischof von Mainz, liess bei einem Besuch im „Bohe“ ein Keramikfläschchen mit Weihwasser zurück. Es soll diese Woche noch einmal nachgefüllt werden.

7 Meister, 26 Lehrlinge, 1424 Praktikanten und Gisela Bussmann

So interessant Gemälde und Fotos sein mögen - wichtiger ist Reinhard Mayer, dass während seiner Zeit als Chef aus dem „Bohe“ immerhin 7 Konditormeister, 26 Gesellen und nicht weniger als 1424 ausgebildete Praktikanten hervorgegangen sind. Stolz ist Mayer, 52, ferner darauf, einiges an historischem Gerät und an altbewährten Paraktiken gesichert und bewahrt zu haben. Und dann ist da an Gisela Bussmann zu erinnern: Geschlagene 42 Jahre kümmerte sie sich um die Gäste im “Bohe”; seit 2 Jahren im hoch verdienten Ruhestand stehe sie bei Bedarf bis heute zur Verfügung.

Die Baumkuchenmaschine stammt aus dem Jahre 1930

Zu den Dingen, die er niemals hergeben würde, sagt Mayer, gehöre die Baumkuchenmaschine, die sein Vorvorgänger Wilhelm Bohe 1930 vermutlich in Bonn erworben habe. Sie funktioniere auch nach 80 Jahren einwandfrei. Reine Museumsstücke sind dagegen Eisformen aus dem 19. Jahrhundert. Sie sind aus Blei und seien nach heutigen Erkenntnissen „ganz einfach giftig“. Nach wie vor verwendungsfähig ist dagegen eine uralte Krokantpresse, an der man sich allerdings laut Mayer „sehr leicht die Finger verbrennt“.

Zuckerhasenformen aus den Resten von Kanonen

Mit den exotisch wirkenden Baumkuchen verschwinden nun endgültig - vermutlich deutschlandweit - auch die Zuckerosterhasen. Bis zuletzt hat Reinhard Mayer die einst für die armen Leute gedachten, roten, durchscheinenden Hasen gegossen, „garantiert ohne Chemie“, wie der Konditormeister betont. Die Farbe stammt aus dem Saft von Roten Beeten. Für die wertvolleren braunen Hasen aus Karamellmasse wird auch Sahne und Butter verarbeitet. Für die Gussformen, so sagt Mayer, seien nach dem letzten Weltkrieg Reste von Artilleriegeschützen eingeschmolzen worden. Für die Kriegsmaschinen habe man zuvor vielfach Kirchenglocken dahingegeben. Immerhin habe er so erleben können, wie „friedliche Dinge, die dem Krieg geopfert werden, dann doch wieder einem friedlichen Zweck dienen können“.

Zum Schluss ein Fest - Backutensilien für einen guten Zweck

Ein kleines Abschiedsfest ist für den kommenden Samstag anberaumt. Da wird Reinhard Mayer das „Bohe“, das inzwischen eine respektgebietende Patina angesetzt hat, noch einmal kräftig aufleben lassen. Bis dahin werden jede Menge Backutensilien veräussert. Nostalgiker können sich jetzt eindecken mit etlichen Stückchen Bohe, mit Utensilien aus einem der ältesten „Konditorei-Cafés“ am Bodensee. Der Erlös kommt einem wohltätigen Zweck zugute, „hier in Konstanz“, wie Reinhard Mayer versichert. Dann verschwindet das „Bohe“. Endgültig. Der neue Eigentümer, der nicht genannt werden möchte, will von einem Café nichts mehr wissen. Ihm geht es, wie man hört, darum, sein Geld möglichst still und solide anzulegen. Im Café Bohe ging es tatsächlich hin und wieder doch etwas wild zu, nicht zuletzt an Fasnacht, wenn dort nicht einmal mehr der Oberbürgermeister so genau wusste, ob die Sperrzeit nun schon gelte oder doch noch nicht. Bild: Frieder Schindele | TMW




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3 Kommentare

  1. 1. Nabholz

    Und wieder geht ein Stück konstanzer Gaststättenkultur zu Ende.Wieder ein klassisches Cafè weniger.Schade schade.Wo kann ein konstanzer Fasnachter jetzt noch an den “Feiertagen” übernachten? Im Bohe war da im Morgengrauen der Treff der nimmermüden Fasnachtsrecken und vor allem Musiker die die Stimmung aufrecht hielten. Reinhard, für die Zukunft alles Gute und noch ein wehmütiges Ho Narro hinterher

  2. 2. mutzkemax

    Neben die Dönerbude dort passt ganz toll ein Ein-Euro-Ramsch-Laden.

  3. 3. Nabholz

    Genau, oder ein McKotz oder Würgerking. Wir brauchen mehr Spitzengastronomie in Konstanz. Außerdem haben wir viel zu wenig Müll auf der Strasse.

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