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10. September 2011 | Wiedemanns Zweifel in Sachen Müller-Esch bestätigt

Gemeinderat in Kündigungverfahren hinters Licht geführt

Konstanz/Freiburg (gro) Bürgermeister Claus Boldt, 51, das ist seit heute Schwarz auf Weiss in einem Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg nachzulesen, hat den Gemeinderat hinters Licht geführt, als er am 28. April in nichtöffentlicher Sitzung eine Kündigungsempfehlung gegen Professor Gert Müller-Esch einforderte, gleichzeitig aber verhinderte, dass der betroffene Chefarzt zu den vorgetragenen Vorwürfen gehört wurde. Ein entsprechender Antrag des Freien Grünen Stadtrats Werner Allweiss war von Boldt zurückgewiesen worden: Eine Anhörung sei „aus rechtlichen Gründen“ nicht möglich, sagte Boldt damals. Jürgen Wiedemann, Stadtrat der Neuen Linie Konstanz (NLK), beschlichen ob dieser Behauptung so starke Zweifel, dass er das Regierungspräsidium einschaltete. Es hat 19 Wochen gedauert, bis die Aufsichtsbehörde nun die Zweifel bestätigte. Der Bescheid aus Freiburg, dessen Eingang Wiedemann gestern bestätigte, ist nach Ansicht von kommunalpolitischen Beobachtern eine Ohrfeige für die obersten Rechtsgelehrten der Stadt, allerdings auch für grosse Teile des Gemeinderats.

Eine Mehrheit wollte den unbequemen Chefarzt loswerden

Man wollte ihn um Ostern 2011 herum endlich loswerden, den ebenso sperrigen wie eloquenten Chefarzt Müller-Esch, 60, der das Zentrum für Innere Medizin (ZIM) am reformbedürftigen Klinikum leitete und seit 12 Jahren auch als Ärztlicher Direktor fungierte. Dass sich Müller-Esch aus womöglich guten Gründen gegen manche Neuerungen wehrte und dabei sämtliche 24 Ärztinnen und Ärzte der mit Abstand grössten Abteilung am Klinikum hinter sich wusste, wurde eher negativ bewertet. Der Mann machte Schwierigkeiten, nicht zuletzt dem neuen Verwaltungsdirektor, einem stillenergischen Mitfünfziger. „Er oder ich“, soll Rainer Ott gesagt haben, der im Juni 2009 am Konstanzer Klinikum angeheuert hatte.

Auch der Oberbürgermeister stimmt für die Kündigung

Für die fristlose Kündigung des unbequemen Mediziners hat dann am 28. April, wie man hört, fast die komplette SPD-Fraktion gestimmt, mit einer Ausnahme (Professor Eberhard Roth) auch die CDU-Fraktion, ferner Teile der FDP, wobei sich Arzt-Kollege Heinrich Everke der Stimme enthalten haben soll, auch einige Freie Grüne. Gegen den Kündigungswunsch wandten sich geschlossen wohl nur die Freien Wähler. Auch Klaus Frank (FuF) sowie Jürgen Wiedemann (Neue Linie) und Holger Reile (Linke) schlugen sich, wie man bald weiter hörte, auf die Seite von Gert Müller-Esch. Mit 18:11 Stimmen, darunter dem Vernehmen nach auch die Ja-Stimme von Oberbürgermeister Horst Frank, soll es in jener Sitzung am Donnerstag nach Ostern am Ende eine deutliche Mehrheit für die fristlose Kündigung gegeben haben.


Scherbengericht in Abwesenheit des Angeschuldigten

Die von einer Mehrheit getragene Stimmungslage, gespeist vom dringenden Bedürfnis einiger Entscheidungsträger, den “schwierigen” Chefarzt endlich loszuwerden, war, so sehen es etliche Gemeinderäte heute, die Voraussetzung für ein Scherbengericht, zu dem Boldt das Stadtparlament, noch während der Osterferien, in eine eilends anberaumte Sondersitzung herbeirief. Einziger Tagesordnungspunkt: die umgehende Kündigung des Chefarztes Müller-Esch. Anlass war ein Brief, in dem bisherige Reformbemühungen am Klinikum teilweise scharf kritisiert wurden. Der Brief, der in den internen Kommunikationsapparat (Intranet) des Klinikums geriet, war zwar von sämtlichen Ärztinnen und Ärzten des ZIM unterzeichnet. Trotzdem ging es der Klinikleitung ausschliesslich um die Kündigung von Müller-Esch. Ihm wurde in der nichtöffentlichen Sondersitzung am 28. April - in Abwesenheit - eine Latte von Verstössen gegen das Klinikdirektorium vorgehalten, dem Müller-Esch selber, bis kurz zuvor, 12 Jahre lang angehört hatte.

Rüde Räumung des Chefarzt-Büros

In jener Sitzung (in der der Gemeinderat als Rat der Spitalstiftung fungierte) wurde es zwar, wie etliche Stadträte im Nachhinein sagen, als „etwas befremdlich“ empfunden, dass Rainer Ott und Claus Boldt jede Menge gegen Müller-Esch vortragen konnten, der Betroffene selber aber zu den Vorwürfen nicht angehört werden durfte. Dies sei „nach § 33 Abs. 2 der Gemeindeordnung aus rechtlichen Gründen nicht möglich“, sagte Boldt zu Stadtrat Werner Allweiss (Freie Grüne Liste), der im Verlauf der Sitzung den Antrag gestellt hatte, vor einer Entscheidungsfindung auch den „angeklagten“ Müller-Esch anzuhören. Die Mehrheit des Stadtparlaments stellte allfällige Zweifel allerdings hintan, glaubte an die Richtigkeit von Boldts Rechtauskunft („nicht möglich“) und empfahl, wie gewünscht, die fristlose Kündigung des unbequemen Chefarztes, der kurz darauf im Rahmen einer rüden Räumung seines Büros des Klinikums verwiesen wurde und sich seither mit Hilfe des Arbeitsgerichts gegen den Rausschmiss wehrt.


Bei so viel versammelter Rechtsgelehrtheit…

Dass die Mehrheit des Gemeinderats dem Wunsch der Verwaltungsspitze entsprach, lag nicht zuletzt an der massiert versammelten Rechtsgelehrtheit. Sowohl Claus Boldt ist Jurist als auch Oberbürgermeister Horst Frank, der der nichtöffentlichen Sondersitzung beiwohnte; auch Silvia Löhr, die Leiterin des städtischen Justiziariats, soll dabei gewesen sein. Zumindest will Boldt sie, wie zu hören ist, wegen der Kündigungssache extra gefragt haben. Wenn da einer der obersten Juristen der Stadt erkläre, eine Anhörung Müller-Eschs sei „aus rechtlichen Gründen nicht möglich“ und die übrigen Juristen dies mit zustimmendem Schweigen quittierten, müsse man die Rechtsauskunft, so die überwiegende Meinung im Stadtparlament bis heute, doch wohl als wahrhaftig anerkennen dürfen.

Anhörung wäre möglich und rechtens gewesen

Tatsächlich können noch so viele Juristen den altrömischen und allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, dass man vor einer Verurteilung auch den Angeklagten zu hören habe, keineswegs aushebeln. Auch nicht mit einem irreführenden Hinweis auf die Gemeindeordnung. Boldt zitierte zur Untermalung seines unzutreffenden Arguments einen Abschnitt aus § 33 der Baden-Württembergischen Gemeindeordnung, in dem es um die Behandlung von Bediensteten geht. Nur zwei Sätze weiter heisst es aber wörtlich und unmissverständlich:

„Der Gemeinderat kann betroffenen Personen und Personengruppen Gelegenheit geben, ihre Auffassung im Gemeinderat vorzutragen (Anhörung); das gleiche gilt für die Ausschüsse.“

Die Verwaltung habe dies in der fraglichen Sitzung „offenbar nicht gesehen“, heisst es in dem Schreiben des Regierungspräsidiums, obwohl selbst kurzsichtige Juristen den Passus in § 33 Absatz 4, Satz 2 GemO schwerlich übersehen können, es sei denn, sie wären auch noch mit Blindheit geschlagen.


Am Ende noch eine Kuriose Volte des Regierungspräsidiums

Angesichts des nun geklärten Sachverhalts mutet der abschliessende Teil des Schreibens aus Freiburg umso kurioser an. Das Regierungspräsidium wartet da seinerseits mit einer zweifelhaften Behauptung auf, wenn es feststellt, dass Bolds Falschauskunft gar keine Rolle spiele. Denn während des Verlaufs der Sitzung am 28. April habe niemand einen „förmlichen Antrag“ gestellt, den inkrimierten Chefarzt anzuhören oder die Richtigkeit der Boldt’schen Rechtsauskunft zu überprüfen. Deswegen gehe der Mehrheitsbeschluss des Gemeinderats trotz allem in Ordnung. Dabei soll, wie Eingeweihte versichern, im Protokoll zur Sitzung ausdrücklich vermerkt sein, Stadtrat Werner Allweiss „beantragt“, Chefarzt Müller-Esch anzuhören. Das Vorgehen von Verwaltung und Gemeinderatsmehrheit führte unter anderem immerhin zum geschlossenen Rücktritt des Personalrats am Klinikum und zu zahlreichen Protestnoten aus der niedergelassenen Ärzteschaft.

Der Hilferuf ging sehr früh ans Regierungspräsidium

Die überraschende Schlussfolgerung des Regierungspräsidiums, der Mehrheitsbeschluss gehe trotz allem in Ordnung, wird mit einem vor 4 Jahren gelaufenen Musterverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen begründet. Doch auch in dieser Hinsicht dürfte am Ende, so hoffen etliche Beteiligte, die Vernunft über schräge Spitzfindigkeiten triumphieren. Zum einen ist nicht auszuschliessen, dass die Stadtverwaltung dem Regierungspräsidium verschwieg, dass es sich bei der Intervention von Werner Allweiss während der Sitzung um einen „förmlichen Antrag“ handelte. Wohl noch gewichtiger für objektive Juristen, so hofft man, dürfte sein, dass sich Stadtrat Jürgen Wiedemann wegen der fraglichen Rechtmässigkeit von Boldt’s Rechtauskunft wenige Tage nach dem angezweifelten Gemeinderatsbeschluss vom 28. April Hilfe suchend ans Regierungspräsidium wandte, das sich dann, im Einvernehmen mit der Stadtverwaltung, sage und schreibe fast 19 Wochen Zeit liess mit einer Beurteilung des Sachverhalts.

Die Suche nach dem Recht muss wahrscheinlich weiter gehen

Das Schreiben des Regierungspräsidiums, unterzeichnet von Regierungsvizepräsident Klemens Ficht, ging nicht nur an Wiedemann, sondern auch an Stadtrat Professor Eberhard Roth (CDU), der sich im vergangenen Juli ebenfalls an die Kommunalaufsicht des Regierungspräsidiums gewandt hatte. Auch Roth, einst selber lange Jahre Ärztlicher Direktor am Konstanzer Klinikum, dürfte sich bestätigt fühlen. Eine erste kleine Wiedergutmachung ist ganz am Schluss des Briefes aus Freiburg zu finden:

„Wir haben die Stadtverwaltung gebeten, den Stiftungs- und Gemeinderat über die Möglichkeiten der Mitwirkung Dritter in kommunalen Gremien künftig richtig und vollständig zu informieren“, heisst es da.

Die Erfüllung einer solchen Bitte, so sehen es kommunalpolitische Beobachter, war dringend nötig. Ihr Erfüllung dürfte unumgänglich sein, das angeknackste Vertrauen zwischen Verwaltung und Gemeinderat wieder herzustellen. Wahrscheinlich geht zuvor die Auseinandersetzung noch ein Stückchen weiter. Nun soll wohl ein Anwalt damit beauftragt werden, die fragwürdige Schlussfeststellung des Regierungspräsidums zur Rechtmässigkeit des Gemeinderatsbeschlusses vom 28. April 2011 zu überprüfen. Wiedemann will’s anscheinend wirklich wissen.




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