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22. Dezember 2011 | Die 33 vergessenen Toten des Mainau-Hospital von 1945

Wenn die Verstorbenen plötzlich Namen bekommen

Konstanz/Mainau (gro) Guillaume Raparie, 1896 geboren in Paris, ist 48 Jahre, 7 Monate und 27 Tage alt gewesen, als er am 19. Juni 1945 in einem Behelfshospital auf der Insel Mainau starb. Zusammen mit einer Frau und 32 Männern, die 1945 in dem Krankenhaus ebenfalls dahinschieden, wurde Guillaume Raparie, gelernter Chauffeur und Jude, auf der Bodenseeinsel begraben, 1946 von der Mainau auf den Konstanzer Hauptriedhof umgebettet und 1948 auf den Friedhof seiner Heimatgemeinde St. Denis, bis heute Hochburg der französischen Arbeiterbewegung, in der nördlichen Banlieu von Paris, überführt. Guillaume Raparie ist einer von 33 Verstorbenen des Jahres 1945, die nun, 61 Jahre nach ihrem Tod, endlich aus der Anonymität befreit werden und wieder einen Namen und die Einordnung in die Zeitgeschichte bekommen. Die Mainau-Verwaltung will mithelfen, die überfällige Überwindung der Anonymität zu bewerkstelligen.

Nach 61 Jahren der Anonymität entrissen

Dass es nun, über sechs Jahrzehnte nach dem Dahinscheiden der 33 Verstorbenen, zu einer Aufarbeitung der Geschehnisse auf der Mainau kommt, ist dem neuesten Taschenbuch der „Kleinen Schriftenreihe des Stadtarchivs Konstanz“ und ihren Autoren zuzurechnen. Das Bändchen wurde von Daniela Frey und Claus-Dieter Hirt unter dem Titel „Französische Spuren in Konstanz“ verfasst. Darin wird auch auf „Die andere Mainau 1945“ hingewiesen, und zwar auf der Grundlage eines im März 1997 erschienenen Taschenbuchs aus der Feder des Konstanzer Historikers Arnulf Moser. Tausende von französischen Häftlingen aus deutschen Konzentrationslagern, überwiegend aus dem Lager in Dachau, mussten 1945 nach Kriegsende die von den Amerikanern verhängte Typhus-Quarantäne abwarten. Gesundheitlich besonders schwer getroffene französische Staatsangehörige kamen auf die Insel Mainau, wo dafür von den Franzosen ein behelfsmässiges Hospital eingerichtet wurde.


Die Geschichtslücke besteht bis heute

Daniela Frey und Claus-Dieter Hirt sind engagierte Vorderleute der deutsch-Französischen Vereinigung (DFV), und von daher ist es verständlich, dass sie sich wunderten, dass die Geschichte von der „anderen Mainau“ nirgends auftaucht in der Selbstdarstellung der so genannten Blumeninsel. Daraus erwuchs vor über 10 Monaten das Angebot, der Mainau-GmbH behilflich zu sein, wenn es darum gehe, die betreffende Geschichtslücke zu schliessen. Das Angebot wurde zwar begrüsst und grundsätzlich gutgeheissen, doch weiter hat sich nichts getan, weder im Hinblick auf eine Gedenktafel noch etwa in der Beschreibung des Inselunternehmens im Internet.

Daniela Frey und Claus-Dieter Hirt lassen nicht locker

Hirt und Frey haben jedoch nicht locker gelassen, sich mit dem Historiker Arnulf Moser enger zusammen getan und sie haben inzwischen die Namen der Mainau-Verstorbenen des Jahres 1945 ermittelt, die, wie Moser wusste, im Stadtarchiv vermerkt sind. Und dies sind nun die Namen der Frau und der 32 jüdischen Männer, die 1945 auf der Mainau in dem Behelfs-Hospital gestorben sind:

Eugenie Brill, August Andre, André Bovec, Aimé Caillon, Georges Caillot, Marcel Delelis, Marcel Detry, Maurice Diche, Vincent Gahinet, Robert Gamler, Lionel Granier, Auguste Henry, Jean Hosotte, Marcel Nicolas, Edmont Perigrosse, Henry Ponclet, Paul Trottain, Louis Chittre, Jean Collin, Jean Hauchard, Peter Jakobs, Marcel Jouany, Simon Karavec, Berthold Krebs, Marcel Labaunme, Josef Limandas, Silvos Muller, Giuillaume Raparie, Bernard Rousselot, Mohamed Tounzi, Marcel Vitale und Jean Vronke.

Erste Nachforschungen machen die Verstorbenen lebendig


Erste Nachforschungen von dornroeschen.nu haben ergeben, dass die meisten Verstorbenen aus dem Lager Dachau kamen, keineswegs aber alle. So war der eingangs erwähnte Guillaume Raparie aus dem Konzentrationslager Mauthausen (15 Kilometer östlich von Linz gelegen) auf die Mainau überwiesen worden. Ermitteln liess sich anhand des Namens ferner, dass Raparie auf Grund einer Denunziation am 16. April 1943 verhaftet und im Rahmen der „Operation Meerschaum“ von der deutschen SS nach Mauthausen deportiert worden war.

Die Tochter kam mit 5 Jahren ums Leben

Emil Baixa, geboren 1922, stammte von einem Ort in den Ostpyrenäen, Vincent Gahinet war ebenfalls erst 21 Jahre alt, als er 80 Kilometer nördlich von Paris, in Compèigne, mit dxer Anschuldigung, er sei nicht nur Jude, sondern auch Kommunist, verhaftet und ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt wurde. Mit Mohamed Tounzi war ein Marokkaner unter den Verstorbenen. Und nicht alle 33 Opfer waren aus Frankreich: Berthold Krebs, der am 27. Juni 1945 im Alter von 32 Jahren auf der Mainau starb, war gebürtiger Berliner mit Heimatadresse im niederländischen Appeldoorn. Seine Tochter Carola war zwei Jahre zuvor im Alter von 5 Jahren im Konzentrationslager Dachau umgekommen.

Jetzt die Schicksale aufarbeiten

Anhand der jetzt bekannt gewordenen Namen lässt sich das Schicksal der 1945 auf der Mainau Verstorbenen vermutlich weitgehend nachvollziehen. Insofern ist Florian Heizmann Recht zu geben, der als Sprecher der Mainau-GmbH darauf aufmerksam macht, dass man die fällige Aufarbeitung der Geschehnisse auf der Mainau zwischen 1939 und 1946 mit Umsicht angehen wolle und dass man dabei Gründlichkeit walten lassen wolle.


Offener Brief an die Mainau-Verwaltung

Daniela Frey und Claus-Dieter Hirt haben sich in einem offenen Brief an die Mainauverwaltung noch einmal angeboten, bei dieser speziellen Vergangenheitsbewältigung behilflich zu sein. Dieser Brief ist von fast drei Dutzend Konstanzerinnen und Konstanzern mitunterzeichnet. Unterschrieben haben:

Claus-Dieter Hirt, Dr. Arnulf Moser, Daniela Frey, Dr. Uwe Brügmann, Dr. Gert Zang, Herbert Kölsch, Marion Vogel, Prof. Dr. Winfried Sennekamp,Dr. Marita Sennekamp, Holger Reile, Dr. Ottomar Neuss, Monika Küble, André Bare, Steg-Bayer, Katrin Brüggemann, Peter Salomon, Werner Allweiss, Anne Mühlhäuser, Ulf Göpfrich, Bernhard Scheuter, Stefan Frommherz, Frauke Dammert, Friedrich Kratzer, Emanzipatorische Gruppe Konstanz, Hannah Fleischhauer, Hendrik Riemer, Lars Düllberg. Dr. Nina Hasiwa, Alexander Stiegeler, Jürgen Wiedemann, Peter Müller-Neff, Rudolf Wein und Eva-Maria Steiger.

Der Link für alle, die das Anliegen ebenfalls unterstützen möchten:
http://www.dfv-konstanz.de/htm/136_de.html

Florian Heizmann: „Bis zum Saisonbeginn eingearbeitet“

Florian Heizmann geht davon aus, dass die Hinweise auf die Rolle der Mainau während des Dritten Reiches und im Jahre 1945 bis zum Beginn der nächsten Inselsaison in die Selbstdarstellung der Mainau eingearbeitet sein dürfte. Bild: Frieder Schindele

Quellen:
Daniela Frey, Claus-Dieter Hirt: „Französiche Spuren in Konstanz – Ein Streifzug durch die Jahrhunderte“, Kleine Schriftenreihe des Stadtarchivs Konstanz. UVK-Verlag Konstanz 2011.

Arnulf Moser: „Die andere Mainau 1945. Paradies für befreite KZ- Häftlinge“, UVK-Verlag Konstanz 1997.


facebook (Jacky Viniere)

monument-mauthausen.org




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