Dornröschen » Blog Archive » Faktencheck: Das „Reformpaket“ ist eine Mogelpackung
Leserkommentare
 
Sponsoren
20. April 2016 | Zur erhöhten Entschädigung für Gemeinderäte

Faktencheck: Das „Reformpaket“ ist eine Mogelpackung

Konstanz (gro) Das so genannte Reformpaket zur „Modernisierung der Gemeinderatsarbeit“ ist eine Mogelpackung. Das ergibt ein Faktencheck, dem sowohl Unterlagen der Konstanzer Stadtverwaltung als auch Vergleiche mit anderen Städten zu Grunde gelegt wurden. Es ist deshalb kein Wunder, dass inzwischen eine rechtliche Prüfung der vor gut einem Monat beschlossenen „Reform“ verfolgt wird. Kernelement der „Reform“ ist eine Erhöhung der Aufwandsentschädigung für die ehrenamtlich tätigen Ratsmitglieder um über 90 Prozent. Basis der Erhöhung ist der Anstieg der monatlichen Entschädigung von 370 auf 700 Euro.

Der 700-Euro-Vorschlag kam von Herbert Weber (SPD)

Eine Anhebung der Aufwandsentschädigung für die Gemeinderäte lag seit langem in der Luft, schon zu Amtszeiten von Horst Frank. Denn der erste Grüne Oberbürgermeister Deutschlands liess den Gemeinderat und seine Ausschüsse ordentlich viel beraten und entscheiden. Mit dem Amtsantritt von Uli Burchardt gingen dann sowohl die Sitzungstermine als auch die Tagesordnungspunkte drastisch zurück. Trotzdem sprach Herbert Weber (SPD), das wohl erfahrenste Mitglied des Stadtparlaments, während einer so genannten Klausurtagung (Gemeinderat + Stadtverwaltung) im Spätherbst 2015 im Namen der überwältigenden Mehrheit seiner Ratskollegen, als er die Marke 700 Euro in den Ring warf. Wie gut er damit zielte, zeigte sich daran, dass sich neben zustimmendem Gemurmel ausgerechnet sein Ratskollege Holger Reile von der Linken Liste Konstanz (LLK) zu einem besonders engagierten Befürworter des Weber’schen Vorschlags empor schwang.

Weber: „Den Antrag muss die Verwaltung stellen“

Herbert Weber exponierte sich während der nicht öffentlichen Beratungen im Spätherbst 2015 und in den ebenfalls nicht öffentlichen Sitzungen des Haupt- und Finanzausschusses zwar als Interessenvertreter des Gemeinderats, forderte den Oberbürgermeister aber eindringlich dazu auf, selber den Erhöhungsantrag zu stellen. Weber: „Der Antrag muss von der Verwaltung kommen!“ Und genau so kam es auch. Weil die Arbeit der gemeinderätlichen Gremien zugenommen und immer komplexer würde, schlage die Verwaltung die Erhöhung der monatlichen Aufwandsentschädigungen von 370 auf 700 Euro vor, hiess es in der Vorlage für die öffentliche Gemeinderatssitzung am 17. März. (Hinzu kamen allfällige Entschädigungen für Betreuungskosten von Angehörigen sowie monatlich 200 Euro für Fraktionssprecher.)

Die Stadtverwaltung widerspricht sich

Ein Kapitel für sich ist, wie sich die Stadtverwaltung widerspricht. Einerseits begründet sie die massive Erhöhung der Aufwandsentschädigung für die ehrenamtlich tätigen Ratsmitglieder damit, dass deren Arbeit wesentlich umfangreicher und komplexer geworden sei. Andererseits erklärt sie die Notwendigkeit der damit verbundenen Reform damit, dass die Arbeit des Gemeinderats “vereinfacht“, „erleichtert“, „gestrafft“ oder „zeitlich entlastet“ werden würde. Ein besonders markantes Beispiel für Widersprüchlichkeit ist die von der Stadtverwaltung übernommene Besoldung von Fraktionsassistenten. Es handelt sich hierbei um Hilfskräfte, die den Fraktionen durch die Aufarbeitung von Sitzungsunterlagen zuarbeiten. Diesen Fraktionsassistenten wird aus der Schatulle der Stadt künftig mehr zugestanden: statt bisher 128 nunmehr 150 Euro pro Fraktionsmitglied. Gleichzeitig wird den Fraktionen angeboten, die Abrechnung der Vergütung für Fraktionsassistenten vom Personalamt der Stadt (kostenfrei) erledigen zu lassen. Also schon wieder eine Erleichterung.

Singen leuchtet mit Sparsamkeit

Immer wieder wird, von Herbert Weber bis Holger Reile, darauf hin gewiesen, dass Konstanz „eigentlich“ eine viel grössere Stadt sei (nicht 83.000 wie tatsächlich, sondern „eigentlich“ 100.000 bis 150.000 Einwohner gross). Und dort, in jenen deutlich grösseren Städten, würden die Ratsmitglieder mit erheblich höheren Aufwandsentschädigungen bedacht. Eine solche Behauptung ist, wie ein paar einfache Nachforschungen ergeben, glatter Unfug. Wer, wie manche Konstanzer Skeptiker, darunter der Christgrüne Peter Müller-Neff, auch nur ein wenig recherchiert hat, findet mühelos heraus, dass sich die Konstanzer Gemeinderäte sehr einseitig an Spitzenentschädigungen orientieren. Ein Beispiel aus der Umgebung: Die Singener Gemeinderäte haben sich ihren monatlichen Grundbetrag vergangenes Jahr von 105 auf 130 Euro erhöht, das Sitzungsgeld von 25 auf 30 Euro. Der Jahresetat erhöht sich dadurch für den Haushalt der Stadt Singen von € 120.000 auf € 130.000-. Allein die jüngste Konstanzer Erhöhung macht eine Ausweitung des Jahrestats um rund € 200.000.- notwendig; insgesamt dürfte sich die jährliche Aufwandsentschädigung künftig auf deutlich mehr als € 500.000.- belaufen.




 Kommentieren    Trackback    Drucken

2 Kommentare

  1. 1. GJM

    Wählt mich, ich mach’s umsonst!

  2. 2. Thorbecke Christel | http://Www.Konstanzerblog.de

    Das Schlimmste an der Sache ist nicht einmal der moralische Aspekt: Aufwandsentschädigung fordern, die in dieser Höhe unangebracht sind. Das Schlimmste ist der Kuhhandel, der zwei Dinge verhindert hat, die zur Demokratie dazugehören: 1. Man konnte sich in der Abstimmung nicht für die eine Sache mit ja und die andere Sache mit nein entscheiden. Da das aber ganz verschiedene Sachen waren, die rein gar nichts miteinander zu tun hatten, könnte man diesen Beschluss anfechten. 2. Die Wähler wissen nach der Abstimmung nicht, wer auch ohne diesen “Packetzwang” offen und überzeugt für 700 € Aufwandsentschädigung gestimmt hätte. Und das ist der unsaubere Trick, den jeder durchschaut. Ich werde bei den nächsten Wahlen nur noch die wählen, die mit nein stimmten. Und vielleicht muss diese Abstimmung ja wiederholt werden Dann werden wir sehen.

Neuen Kommentar schreiben ...