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14. Juli 2016 | Flüchtlingsnovelle bedroht den Rechtsfrieden

Auswüchse eines missratenen Ermächtigungsgesetzes

Konstanz (gro) Was Kriegsflüchtlingen aus dem Mittleren Osten helfen soll, entpuppt sich stellenweise als Auswuchs eines missratenen Ermächtigungsgesetzes. Zum Beispiel im Konstanzer Stadtteil Egg, wo derzeit ein massives Betongebäude für eine so genannte Anschlussunterkunft in einem schützenswerten Naturgelände eilig und rücksichtslos hochgezogen wird. Das geltende Baurecht bleibt auf der Strecke, dabei auch die gebotene Rücksichtnahme auf Nachbarn. Willkürlich handelnde Behörden riskieren das Gegenteil dessen, was sie eigentlich anstreben: Ablehnung statt Unterstützung. Wilhelm Hansen, von der beschädigten Nachbarschaft als Anwalt eingeschaltet, sieht sich gezwungen, die Angelegenheit vor den Verwaltungsgerichtshof Mannheim zu ziehen.

„Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“

Als Angela Merkel am letzten Augusttag des vergangen Jahres sagte „Wir schaffen das!“, hatte sie angesichts der Europäischen Flüchtlingskrise Worte gefunden, die der halben Welt Beifall für die deutsche „Willkommenskultur“ abnötigten. Nicht zuletzt dieser Beifall führte zu Aktivitäten, die helfen sollten, das waghalsige Versprechen zu erfüllen. Die Berliner Regierung sowie Bundestag und Bundesrat durften da nicht länger abseits stehen. Das bescherte uns in der Folge schliesslich das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz, zu dem eine Novellierung des Bundesbaugesetzes (§ 246) gehört. Das war gut gemeint. Doch schon Kurt Tucholsky hatte einst festgestellt: „Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint“.

Schwammige Formulierungen

Angesichts der gewaltigen Flüchtlingswelle, die vor einem Jahr über die Balkanroute auf Mitteleuropa zurollte, tat Eile not. Dies erklärt manche Schwammigkeit der neuesten Bestimmungen. Zwar ist das Bundesbaugesetz nur punktuell novelliert worden, um die schnelle Bereitstellung von Unterkünften zu ermöglichen. Doch manche Formulierung ist gefährlich ungenau. Zum Beispiel, wenn die nähere Zweckbestimmung beschrieben wird. So können die Behörden nun auf vorhandene Baulichkeiten leichter zugreifen; ebenso können sie sehr viel schneller Neubauten genehmigen, wenn es sich um „Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende“ handelt.

Wenn der Staat die Kommunen mit Zuschüssen lockt

Die in Egg im Bau befindliche „Anschlussunterkunft“ ist eine „sonstige Unterkunft“. Dort kommen Flüchtlinge unter, die gute (oder schon bestätigte) Aussichten haben, in Deutschland bleiben zu dürfen. Für solche Unterkünfte muss die Kommune sorgen, in der Praxis in enger Zusammenarbeit mir dem Landkreis. Um das Engagement der Kommunen anzustacheln, wurden stattliche Staatszuschüsse in Aussicht gestellt; gleichzeitig wurde bekannt gemacht, diese Zuschüsse würden im so genannten Windhundverfahren gewährt, nach dem Motto: „Wer sich mit einem solchen Projekt zuerst meldet, bekommt auch den Zuschuss zuerst.“ Zusätzlich gilt eine Sonderbestimmung: Während Einrichtungen, die auf Grund der Flüchtlingsnovelle ausnahmsweise genehmigt wurden, unter Umständen Ende 2019 zurückgebaut werden müssen, gilt eine solche Bestimmung grundsätzlich nicht, wenn „Vorhabenträger ein Land oder eine Gemeinde“, vor dem Gesetz also etwas gleicher als ein privater Bauträger ist..

Insgesamt 1,8 Millionen Euro direkt in die Kassen der Stadt

Konstanz beeilte sich und meldete mit Zustimmung des Gemeinderats noch im Herbst 2015 zwei Projekte an, neben einem massiven, dreistöckigen Haus für 40 Flüchtlinge in Egg einen ähnlich grossen Neubau in Wollmatingen, im Gewann Zergle. Der Zuschuss beträgt 25 Prozent der Gesamtkosten, insgesamt sind es 1,8 Millionen Euro, die (ohne Gegenleistung!) direkt in die Kassen der Stadt fliessen. Damit auch alles Übrige bei der Kommune bleibt, baut in beiden Fällen die städtische Wohnungsbaugesellschaft WOBAK, und die Neubauten werden auf städtischem Grund und Boden verwirklicht. Die Pflicht zum Rückbau, also die Verpflichtung, den früheren Zustand wieder herzustellen, besteht, wie weiter oben angemerkt, ausdrücklich nicht. Die Begründung zur Flüchtlingsnovelle stellt allerdings klar, dass jede Befreiung von einschränkenden Bestimmungen „mit nachbarlichen Interessen und öffentlichen Belangen vereinbar“ sein müsse.

Dem Nachbarn die Nachbarschaft abgesprochen

Dass die WOBAK am Flurweg in Egg trotz der Verletzung nachbarlicher Interessen unbesorgt drauflos bauen kann, liegt nicht nur an den unübersichtlichen Sonderbestimmungen der Flüchtlingsnovelle. Schuld daran sind mindestens eben so sehr die Genehmigungsbehörden bis hinauf zum Regierungspräsidium Freiburg. Als der Nachbar gegen die Baugenehmigung vorging und Rechtsanwalt Wilhelm Hansen in dessen Auftrag beim Verwaltungsgericht Freiburg mit der Forderung nach einer Einstweiligen Verfügung den Baubeginn verhindern wollte, um erst einmal strittige Fragen zu klären, wurde dem Nachbarn einfach die Nachbarschaft abgesprochen. Zwischen dem fraglichen Baugrundstück und dem Grundstück des Nachbarn, so begründete das Verwaltungsgericht unter anderem die Ablehnung des vorläufigen Rechtsschutzes, befinde sich schliesslich ein 30 Meter breites Biotop. Damit werde ein mehr als ausreichender Abstand eingehalten. Doch die Sachlage ist vollkommen anders.

Das Biotop muss 25 Jahre lang gepflegt werden

Das 30 Meter breite Biotop gehört dem Nachbarn der künftigen Anschlussunterkunft und liegt auch auf dessen Grundstück. Die Anlage dieses Biotops, das nicht bebaut werden darf, war eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Baugenehmigung seines vor wenigen Jahren errichteten Hauses. Er musste sich gegenüber der Stadt Konstanz ausserdem verpflichten, das Biotop 25 Jahre lang fachmännisch zu pflegen. Der 22-seitige Vertrag mit einem umfangreichen Katalog von Schutz-, Pflanz- und Pflegemassnahmen ist den Genehmigungsbehörden zwar vorgelegt, von denen aber ignoriert worden, ebenso die Tatsache, dass das Biotop Teil des Grundstücks ist.

Ohne Rücksicht auf Natur und Nachbarschaft

Die Wiese am Flurweg und der Hang im Stadtteil Egg unterhalb der Strasse zur Mainau (wo jetzt gebaut wird) gehört zu den nordöstlichen Ausläufern des Hockgrabens, einer Kilometer weit langestreckten Niederung mit einer speziellen Flora und Fauna. Das mehrfach angesprochene Biotop ist (oder war) gedacht als Brücke zur geschützten Natur. Doch in dieser Natur wächst jetzt das dreigeschossige Gebäude empor. Auf ein Umweltverträglichkeitsgutachten für das Neubauprojekt wurde verzichtet, obwohl es sich bei der Baumassnahme fraglos um einen schweren Eingriff ins dortige Schutzgebiet handelt. Die Naturschutzbehörde gab ihre Genehmigung ohne weiteres. Sie ist ja auch angesiedelt beim Landratsamt, das für die Unterbringung der Flüchtlinge zu sorgen hat.

„Völlig unzulängliche Sachverhaltskenntnis“

Das Grundstück für den Neubau im Stadtteil Egg befindet sich ausserhalb des daneben geltenden Bebauungsplans, zu dem das Grundstück des Nachbarn gehört; der Neubau liegt in einem Aussenbereich. Trotzdem behauptet das Verwaltungsgericht Freiburg, mit dem dreistöckigen Haus werde nur „eine Baulücke geschlossen“. Und mit der Umgebung harmoniert der Neubau nicht im Geringsten. Hansen schliesst daraus, dass sich die Genehmigungsbehörden kein Bild von der tatsächlichen Situation gemacht haben. Anders kann sich der Jurist, der 16 Jahre (1981 bis 1997) Erster Bürgermeister von Konstanz war, die „völlig unzulängliche Sachverhaltskenntnis“ nicht vorstellen. Die Genehmigung des Projekts sei offensichtlich „rechtswidrig und ins Blaue hinein erteilt worden“.

So viel freiwillige Helfer wie Flüchtlinge

In Konstanz leben zur Zeit etwa 1000 Flüchtlinge, etwa ebenso viele Konstanzerinnen und Konstanzer sind in Vereinen und Gruppen und meist ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe organisiert. Konstanz ist nach wie vor eine Stadt mit ausgeprägter Willkommenskultur. Natürlich ist man auch im Stadtteil Egg gegenüber den Hilfe suchenden Menschen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan aufgeschlossen. Doch als die Stadt in der Ortsmitte von Egg eine Anschlussunterkunft verwirklichen wollte, bildete sich eine Bürgerinitiative, die die zentrale Wiesenfläche frei halten will. So kam es zur Verlagerung in das Naturschutzgebiet am Flurweg, am Rande des Stadtteils. .

Besser wäre: Offen, ehrlich und transparent

Baurechtliche Probleme für eine Anschlussunterkunft hätte es im Zentrum von Egg ebenfalls gegeben, auch wenn man dort mit deutlich weniger gravierenden Verstössen gegen geltendes Recht “ausgekommen” wäre. Doch die Behörden und der Gemeinderat wählten vor dem Hintergrund des politischen Aufbegehrens den Weg des (scheinbar) geringeren Widerstands. Jetzt geht es um Recht und Gesetz. Ein Kräftemessen auf diesem Feld sollte unnötig sein. Denn die Stadt Konstanz hat Platz genug. Und wesentlich bessere Möglichkeiten als in Egg, Integration voran zu bringen. Es fehlt nicht an geeigneten Grundstücken, sondern nach wie vor am offenen, ehrlichen und nachvollziehbaren Suchen danach.

Bild: Frieder Schindele




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