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10. September 2018 | Erinnerungen an Konstanz

Der brasilianische Verkehrs-Rentner mit der Trillerpfeife

Salvador da Bahia/Konstanz (gro) Ausgerechnet im Nordosten Brasiliens, in Salvador da Bahia, wird man an die Konstanzer Schnetztorkreuzung erinnert – und an Johannes Kumm, den ehemaligen Konstanzer Stadtbaumeister, der statt jugendlicher Verkehrskadetten lieber betagte Ruheständler am Werk sähe. Dort, in Salvador, steht ein Mann, ein Rentner, jeden späten Nachmittag auf der vielbefahrenen Kreuzung etwas unterhalb der Praca da Seacute. Der Herr im dunklen Anzug mit Kravatte regelt dort mit großen Gesten und mit einer durchdringenden Trillerpfeife souverän den Verkehr. Der Mann, inzwischen 80 Jahre alt, macht das seit vielen Jahren. Die Polizei lässt ihn gewähren, obwohl dort die Ampeln funktionieren und für einen einigermaßen sicheren Verkehrsablauf sorgen.

Er bietet dem Verkehrschaos die Stirn

Der täglich pfeifende Herr, nennen wir ihn Senhor Paladar, ist ein Unikum und wahrscheinlich auch ein Unikat. Er lässt sich nicht interviewen und scheut die Kameras von Journalisten. Er hat nichts anderes im Sinn als ein wenig mitzuhelfen, den Verkehr in seiner Heimatstadt ein bisschen flüssiger zu gestalten, und weil er längst in Rente ist, habe er, wie er sagt, genügend Zeit, jeden Tag ein paar Stunden dem bahaianischen Verkehrschaos die Stirn zu bieten.

Oder doch Rentner und reifere Redakteure?

Ein Modell für Konstanz? Sollen Rentner oder gar reifere Redakteure dafür gewonnen werden, während der Stosszeiten, etwa am Bahnhofplatz oder am Schnetztor, den Verkehr flüssiger zu halten? Zwar wäre es wahrscheinlich vernünftiger gewesen, den wachsenden automobilen Zustrom mit Hilfe einer Parkpalette auf dem Döbele und mit ein paar neuen weißen Strichen auf erweiterten Fahrbahnen zu entschärfen, wie das Johannes Kumm einst vorsah.

Das fünftgrösste Land der Welt

Sei’s drum. Salvador da Bahia, die erste (damals kaiserliche) Hauptstadt Brasiliens (von 1549 bis 1763), taugt nur bedingt als Anschauungsbeispiel für Konstanz. Doch die Tatsache, dass es einen der beiden “dornroeschen”-Macher auf Einladung eines brasilianischen Filminstituts für einige Wochen dorthin verschlagen hat, gibt Gelegenheit, den geneigten Lesern das fünftgrößte Land der Welt (mit der nach Boeing und Airbus drittgrössten Flugzeugindustrie) ein bisschen näher zu bringen.

In Salvador schlägt das Schwarze Herz Südamerikas

Nach Salvador, in das schwarze Herz Brasiliens, gelangt man am besten über Lissabon. Täglich fliegt die TAP, Portugals Staatsairline, von dort um 16 Uhr (Ortszeit) mit einem großen Airbus direkt und nonstop in knapp 9 Stunden in die bahaianische Metropole. Der Zubringer startet in Zürich normalerweise um 11.45 Uhr. Das Ticket kostet ab 650 Euro. Zur Zeit liegt die Tiefsttemperatur in Salvador bei etwa 30, die Luftfeuchtigkeit bei 80 bis 90 Grad. Das Frühjahr geht langsam zur Neige.

Die meisten Afrikaner wurden nach Brasilien verschleppt

Zeit, an einige Fakten zu erinnern, die häufig anders im Gedächtnis haften: Von den 9,2 Millionen Menschen, die von 1502 bis 1870 aus Afrika als Sklaven nach Süd- und Nordamerika verschleppt wurden, landeten die meisten bei den portugiesischen Kolonialherren in Brasilien: fast 38 Prozent, die wenigsten in den heutigen USA (6,3 Prozent). nach Kuba und Jamaika wurden ins damalige spanische Herrschaftsgebiet jeweils knapp 8, nach Haiti 9,2 Prozent verschleppt.

75 Prozent unter der Armutsgrenze

Menschen dunkler Hautfarbe bilden etwa 80 Prozent der Einwohner in Salvador da Bahia. 75 Prozent der knapp 3 Millionen Menschen dieser Stadt leben unterhalb der Armutsgrenze. Über ihnen spannen sich eine hauchfeine, vermögende Oberschicht und eine dünne, aber langsam anwachsende Mittelschicht. Trotzdem ist die gesellschaftliche Situation in Bahia stabil. Das liegt nicht zuletzt an zahlreichen Initiativen, die häufig auch von internationalen Organisationen mitgetragen werden. Das “Instituto Brasileiro do Terceiro Sector” (”Brasilianisches Institut für den Dritten Sektor”) zählt über 300 solcher Hilfsorganisationen, von A wie “Assicicao Beneficente Christa” über E wie dem vor allem in Umweltfragen aktiven “Eco Brasil” bis hin zu V wie den “Voluntárias Sociais da Bahia”. Alle diese Organisationen, in denen man sich auch vor Ort mit Gleichgesinnten aus aller Welt engagieren kann, sind im Internet zu finden, und zwar unter der Adresse www.bahia-online.net/volunteer.htm.

Viel größer als der Bodensee

Zum Schluss der kleinen Lektion in Sachen Brasilien noch ein paar Zahlen: Es handelt sich um das fünftgrößte Land der Erde, etwa 24 Mal so groß wie Deutschland. Das Bundesland Bahia allein hat etwa die Fläche Frankreichs. Die Atlantikküste Brasiliens misst rund 8700 Kilometer. Brasilien grenzt an 12 Länder Südamerikas, an alle ausser Equador und Chile.

Die Rundfahrt durch die Bucht dauert drei Tage

Schließlich noch eine Kleinigkeit zu Salvador da Bahia de Todos los Santos (Erlöser von Bahia an der Bucht aller Heiligen), wie der vollständige Name der Stadt lautet: Das Innere der Bucht, an der Salvador liegt, ist wesentlich größer als der Bodensee. Eine Rundfahrt mit dem Besuch der wichtigsten Städte, Orte und Inseln der Bucht dauert mindestens drei Tage. Bild: pro




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