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30. März 2019 | Spektakel und Vexierspiel

Kunstnacht als Kuriosum der Sonderklasse

Konstanz/Kreuzlingen (gro) Die Ermatinger können sich (siehe weiter unten) auf einen leibhaftigen Papst berufen, wenn sie am nahen Untersee alljährlich die späteste Fasnacht der Welt steigen lassen. Dieses Wochenende ist es wieder so weit. Doch diesmal sind sie nicht exklusiv: Mit der 14. Kunstnacht fügen die Konstanzer und die Kreuzlinger heute ein närrisches Kulturereignis der Sonderklasse hinzu.

Zu Beginn ein rührendes Geständnis

Das mit 50 Seiten durchaus stattliche Begleitheft zur Kunstnacht 2019 wartet auf der ersten Innenseite mit einem bemerkenswerten, rührend innigen Geständnis auf. Am Ende eines herzlichen Willkommensgrusses, gemeinsam verfasst von Kulturamtsleiterin Sarah Müssig und ihrem Chef Andreas Osner, heisst es wörtlich: „Wir freuen uns auf diese gemeinsame Nacht und wünschen Ihnen viel Freude.“ Der Vollständigkeit halber sei angefügt, dass auch in diesem Falle selbstverständlich die Allgemeine Unschuldsvermutung gilt: „Honi qui mal y pense.“

Der Blödsinn mit dem Eintritt

Gar nicht lustig ist dagegen der Hinweis im Begleitheft, dass Eintritt zu zahlen ist: für Schüler und Azubis 3 Euro, für Erwachsene 5 Euro. Zu berappen ist das Geld beim Betreten der ersten Galerie oder einer Kulturbehörde, wie etwa dem Rosgartenmuseum. Abzuliefern sind die Eintrittsgelder bei der Stadtverwaltung. Ein Eintritt ist gegenüber der Ursprungsidee absolut kontraproduktiv. Dazu sollte man wissen, dass die Idee zur Kunstnacht einst unter den Galeristen der Stadt entstanden ist. Man suchte Wege, den Konstanzern die Schwellenangst vor moderner Kunst zu nehmen. Es war ein gewisser Michael Oes, der in den 90-er Jahren die Initiative ergriff und es war Galerist Roland Geiger (Bild), der eine Handvoll Mitstreiter für das Projekt gewann. Alle arbeiteten über viele Jahre hinweg ehrenamtlich.

Jede Galerie hat bereits 450 Euro abgeliefert

Dieser ehrenamtliche Kreis schaffte es seinerzeit, der Stadtverwaltung 4500 Mark Zuschuss abzuringen, allerdings erst, nachdem sich die Stadt Kreuzlingen, die bei der Kunstnacht mitmachen wollte, ihrerseits bereits 4500 Franken Unterstützungsbeitrag bewilligt hatte. Inzwischen hat sich das gewissermassen gedreht. Seit die Kommunen die Veranstaltung der Kunstnacht (erstmals 2017) übernommen haben statt die Privatintiative weiter zu unterstützen, muss an die Stadt gezahlt werden: Jede Galerie hat 450 Euro abzuliefern, wenn sie dabei sein will. Schliesslich will ja der übliche, durch die Kunstnacht kreisende Busshuttle bezahlen werden, und dann ist ja da auch noch das 50-seitige Begleitheft.

Wer ist „gioco salentino“ ?

Ein Kapitel für sich sind die Bildunterschriften im Begleitheft. Da findet sich zum Beispiel auf Seite 34 ein Bild, bezeichnet/betitelt als „gioco salentino, 200×73, Acryl auf Papier“. Wer kennt Gioco Salentino? Doch darum geht es gar nicht, es handelt sich um eine interessante Arbeit von Antonio Zecca, der in der Kunstnacht mehrfach im dann gewiss von oben längst gedunkelten „Oberlichtsaal“ des Konstanzer Kunstvereins mit einer musikalisch untermalten Performance aufwarten wird.

Sogar das „Glasdach Bibliothek“

Nebenan finden wir im Begleitheft ein Bild ganz ohne Hinweis, ausserdem rätselhafte und/oder sinnig/philosophische Abbildungen mit Zuschreibungen wie „Galerie“, „KunstMachtKeller“ oder „Glasdach Bibliothek“, wo man tatsächlich ein Stücke Glasdach der Konstanzer Uni-Bibliothek bestaunen darf.

Trotz allem durchaus sehr nützlich

Trotz solcher Vexierspiele, dich ja durchaus ihren Reiz haben, ist das Begleitheft zur Orientierung nützlich. Es fehlt zwar eine zusammenfassende Liste der an der Kunstnacht beteiligten Galerien und Häuser, die sich dann erst auf einem zusätzlich angefertigten Flyer befindet, aber der differenziert eingerückte Fahrplan für den Bus-Shuttle, der die Kunstorte laufend mit einander verbindet, ist von hohem Gebrauchswert. Das ändert jedoch nichts daran, dass die wenigsten Galeristen bereit sind, am Eingang Tischchen und Stühlchen aufzustellen, an denen Beauftragte des Kulturamts Platz nehmen sollen, um die Eintrittspreise zu kassieren. „Das geht gar nicht!“, hört man in Konstanz wie in Kreuzlingen.

Wenn sich die Tauben küssen

Wie sehr das Hohe Mittelalter bis in unsere Zeit hinein inspiriert, zeigt uns Johannes Dörflinger mit seinem neuen Projekt der nicht nur turtelnden, sondern sich auch küssenden Tauben. Oder sind es Falken? In seiner „Galerie an der Grenze“ sind seine zu Farbe und Form gewordenen Assoziationen, ausgelöst durch die geheimnisumwitterten, feuervergoldeten Scheiben der Münstergiebelfront zu bewundern. Nebenan hat Meister Michael Zobel das Motiv aufgegriffen, von dem sich unlängst auch Heinz Mack, der nach wie vor bei Geiger zu studieren ist, bei einem Besuch in den Katakomben des Münsters fasziniert gezeigt hatte. Von Ferry Müllers Lilien- und Rosenölbehältern, die bei Dörflinger ein Gastspiel geben, bekommt auch Zobel einige wohlgeformte, verzierte Exemplare ab. Heute Abend und bis nach Mitternacht ist all das und allenthaben sehr viel mehr zu sehen, zu bewundern und zu geniessen: eben bei der Kunstnacht 2019 in Konstanz und Kreuzlingen, Eventbeginn gegen 18 Uhr am Hauptzoll.

Bild: Frieder Schindele




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