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10. November 2019 | Nach Eröffnung bald Tag der offenen Tür

Die neue Konstanzer Synagoge: Shimons Triumph

Konstanz (gro) 81 Jahre nach der Zerstörung der Synagoge in der Sigismundstrasse 19 ist am Sonntag in der Sigismundstrasse 8 ein neues Gotteshaus für Menschen jüdischen Glaubens eröffnet worden. Die Jüdische Gemeinde, Gläubige anderer Religionen und Anschauungen - die ganze Stadt kann sich glücklich schätzen, dass sich nun religiöses und kulturelles jüdisches Leben besser entfalten kann.

Es war Shimon Nissenbaums sehnlichster Wunsch

Für den Mann, der dieser Tage vom Himmel herab nach Konstanz schaut, für Shimon Nissenbaum, der 2001 verstarb (unser Bild zeigt ihn 1988 mit seinem Sohn Benjamin bei einer Gedenkfreier in Warschau), ist die Fertigstellung der Synagoge mit Gemeindezentrum ein wunderbarer Triumph. Es ist die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches: seiner Familie, Kindern, Kindeskindern und den Menschen jüdischen Glaubens endlich wieder einen gemeinsamen spirituellen und gesellschaftlichen Treffpunkt zu verschaffen. Shimon Nissenbaum hat ein Leben lang dafür gekämpft. Und nun ist sie da, die neue Synagoge - und sie ist für alle da, nicht nur für jüdische Gemeindemitglieder verschiedener Richtungen, sondern auch für einen allgemeinen, lebendigen Austausch mit Andersgläubigen.

Glückwünsche und Mahnungen

Zu Beginn der Eröffnungsfeierlichkeiten am Sonntag gab es einen temperamentvollen, Freude und Frohsinn ausstrahlenden Umzug vom Standort der früheren Synagoge zum neu entstandenen Gotteshaus. Dort übernahm Rami Suliman, der Vorsitzende der Israelitischen Religionsgemeinschaft (IRG) Baden, die Begrüssung der über 200 Festgäste aus nah und fern. Hauptredner war Winfried Kretschmann, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg. Abraham Lehrer sprach als Vertreter des Zentralrats der Juden in Deutschand und Uli Burchardt kam als Oberbürgermeister von Konstanz zu Wort. Nach Benjamin Nissenbaum, dem Konstanzer Gemeindepräsidenten, sprach Moshe Flomenmann, der Landesrabbiner Badens. Ein weiterer Höhepunkt war der Auftritt von Rabbiner Avraham Yitzhak Radbil, der von Flomenmann in sein Amt als neuer Konstanzer Ortsrabbiner eingeführt wurde. Zu den Glückwünschen gab es mahnende Worte, kein Wunder, es ist schliesslich erst einen Monat her, dass in Halle bei einem rechtsradikalen Anschlag auf eine Synagoge zwei Menchen ums Leben kamen.

Der Triumphzug vom 30. November 2000

Einen Triumphzug in Sachen Synagoge, wenn auch in wesentlich weniger malerischer und lautstarker Manier, hatte es bereits vor 19 Jahren gegeben, und zwar am 30. November des Jahres 2000. Die Delegation wurde damals angeführt von Shimon Nissenbaum, dem Nachkriegsgründer und Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinder. Ihm war es nach Jahre langen Bemühungen gelungen, mit Hilfe der Stadtverwaltung vom Gemeinderat die Zustimmung fürs Überlassen eines zentrumsnahen Grundstücks zu bekommen, um darauf ein neues jüdisches Gemeindezentrum zu errichten. Die Prozession ging damals, am 30. November 2000, von der Sigismundstrasse Richtung Seerhein zum Grundbuchamt im so genannten Roten Notariat, wo das Grundstück dann auch tatsächlich der jüdischen Gemeinde übereignet wurde. Doch es sollte, wie wir jetzt wissen, noch fast 20 Jahre dauern, bis die Synagoge in Betrieb genommen werden konnte. Shimon Nissenbaum, der 2001 viel zu früh das Zeitliches segnete, hat sich am Ende auch noch im Himmel gedulden müssen.

Dank Benjamin Nissenbaum zum guten Ende

Die Gründe für den hindernisreichen Fortgang waren vielfältig. So musste zum Beispiel das fragliche Grundstück zwischendurch an die Stadt zurückübereignet und dann wieder heimgeholt werden, dazu gab es geradezu abenteuerliche Differenzen mit der Karlsruher Dachorganisation, der IRG-Zentrale, und der damalige Vorsitzende Benjamin Nissenbaum stellte seine Präsidentschaft zur Verfügung; nach dem Motto „Dann sollen es halt Jüngere richten!“. Doch vor gut drei Jahren stellte er sich dann doch noch erneut zur Verfügung. Unterstützt von seiner Familie, vor allem von seinem Bruder Gideon, seiner Frau Monique, seiner Tochter Natalie und deren Bruder Julien nahm Benjamin Nissenbaum die Zügel wieder in die Hand, mit vollem Erfolg und nicht zuletzt im Gedenken an Vater Shimon Nissenbaum.

Ein wunderschönes Buch gibt Auskunft

Traurig auch, dass Sonja Nissenbaum, die vergangenes Jahr verstorbene Frau des Wiedergründers, die Eröffnung der Synagoge nicht miterleben kann. Doch die Trauer wird gemildert durch die Zuversicht, dass auch Mutter Sonja die glanzvolle Wiedergeburt der Synagoge vom Himmel herab mit Vergnügen an der Seite ihres geliebten Shimon verfolgen kann. Für gesteigertes Wohlgefallen sorgt hier unten im Übrigen eine Festschrift in handlichem Format. Das Buch, herausgebracht von Benjamin Nissenbaum und Professor Erhard Roy Wiehn und erschienen im Verlag Hartung-Gorre, schildert vor allem die jüngere Geschichte der Jüdischen Gemeinde von Konstanz und ist ausgestattet mit Aufnahmen von massgeblichen Persönlichkeiten und Dokumenten sowie Abbildungen vom Äusseren und Inneren der Synagoge. - Das Gotteshaus kann am kommenden Sonntag an einem Tag der offenen Tür von allen Konstanzern besichtigt werden.

Musikanten und Polizisten

Nach den offiziellen Feierlichkeiten wurde es am Sonntagabend regelrecht gemütlich im neuen jüdischen Gemeindezentrum, es gab zu Essen und zu Trinken, Musikanten spielten auf und die Feier verwandelte sich in der Abenddämmerung in ein fröhliches Fest. Doch draussen sah es ganz und gar anders aus: Zahlreiche Polizeibeamte kümmerten sich vor und neben der Synagoge vorsorglich um Sicherheit und in den Strassen ringsum parkten fast ein Dutzend Mannschaftswagen der Landespolizei, dazu etliche schwere, offenbar gepanzerte Limousinen. “Da ist immer noch einiges schwer im Argen”, sagte ein Festteilnehmer, “das sollte endlich, endlich überflüssig werden.”



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Ein Kommentar

  1. 1. Bruno Neidhart

    Ein erstaunliches, wichtiges Ereignis für Konstanz! Nach jahrelangen Querelen von Konstanz bis Karlsruhe steht sie nun doch da: Die neue Synagoge an der Sigismundstraße 8. Die Stadt tat letztlich gut daran, das Grundstück so lange offen zu halten. Vielleicht bildet sich hier auch ein neuer Ort religiös-kultureller Begegnung über die Grenze hinweg: Stadtnachbar Kreuzlingen hatte einst eine breite jüdische Gemeinde, deren Anfänge ins späte 19. Jahrhundert reichen (Ãœber die “Massnahmen der Thurgauer Fremdenpolizeit in den 1940er Jahren soll hier für einmal nicht die Rede sein!). Oberhalb der Stadt, westlich der Kapelle Bernrain (jenseits der Straße) besteht noch immer ein “Israelitischer Friedhof”. Den Betsaal an der Hafenstraße gibt es nicht mehr. Die Jüdische Gemeinde wurde 2016 aufgelöst.

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