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16. März 2024 | Loblied auf Palermo

Die sicherste Stadt Italiens liegt auf Sizilien

Palermo (gro) Wer von Palermo hört, denkt fast automatisch an die Mafia, an Organisiertes Verbrechen, an Mord und Totschlag und an Gaunereien aller Art. Tatsächlich ist Palermo die sicherste grosse Stadt Italiens. Die Metropole Siziliens, der grössten Insel des Mittelmeers, ist laut amtlichen Polizeistatistiken deutlich sicherer als etwa Berlin, Paris, Wien oder Frankfurt. Ermittelt wird das repräsentativ nach weltweit angewandten Mustern, wobei die Häufigkeit der polizeilich erfassten Delikte kombiniert wird mit dem subjektiven Sicherheitsempfinden der Stadtbewohnerinnen und –bewohner. In Palermo kommen demnach auf 100.000 Einwohner jährlich 4.400 Delikte. In Mailand rund 11.000 und zum Beispiel in Berlin mit fast 13.000 etwa dreimal so viele Delikte wie in Palermo. Noch günstiger für Siziliens Hauptstadt liegen die aktuellen, subjektiven Einschätzungen.

Die wache Bürgerschaft von Palermo

Das war nicht immer so, und der aktuelle „Sizilianische Frühling“ ist einem beherzten Bürgermeister und seinen intelligenten Mitstreitern, mutigen Juristen und einer umsichtigen Polizei zu verdanken. Und vor allem der wachen Bürgerschafft von Palermo, die die Mafia, aber auch manchen Politiker, längst zum Teufel gewünscht hat.

Killer-Kommando im Auftrag der Cosa Nostra

Als in der ersten Septemberwoche des Jahres 1982 eine hochoffizielle Trauergesellschaft mit zahlreichen Politikern aus Rom der Kathedrale von Palermo zustrebte, um General Alberto dalla Chiesa ins Jenseits zu verabschieden, wurden die Würdenträger aus Rom und dem festländischen Norden vom sizilianischen Volk wütend empfangen und mit Münzgeld beworfen.

Dalla Chiesa, Oberbefehlshaber der paramilitärischen Carabinieri, der in den Jahren zuvor die Auseinandersetzung mit den Brigate Rosse (dem italienischen Pendant der deutschen RAF) mit harter Hand erfolgreich erledigt hatte, war wegen des ausufernden sizilianischen „Mafia-Kriegs“ nach Palermo beordert worden, wegen eines Kriegs, der damals jährlich Hunderte von Toten forderte, meist Gangster rivalisierender Clans oder Polizeibeamte, aber auch unbotmässige Geschäftspartner Mafia-naher Unternehmen.

Dalla Chiesa war – so die Meinung der rechtschaffenen Sizilianer - in seinem aufopfernden Kampf gegen die Cosa Nostra (wie die Mafia in Sizilien heisst) von der „grossen“ Politik im Stich gelassen worden. Der 62-jährige Polizeioffizier hatte das mit seinem Leben bezahlt. Mitten in Palermo, in der via Carini, war der Carabiniere-General zusammen mit einem Leibwächter und seiner jungen Frau am Morgen des 2. September 1982 von einem Killerkommando im Auftrag der Cosa Nostra ermordet worden.

Drehscheibe fürs lukrative Geschäft mit harten Drogen

Unter den Kleingeldschauern der zornigen Palermitaner vor der Kathedrale Maria Santissima Assunta (Bild oben, erbaut im 12. Jahrhundert auf den Grundmauern einer zerstörten Moschee, die ihrerseits auf den Resten einer zerstörten Christenkirche errichtet worden war) sollte den Politikern deutlich gemacht werden, dass sie „nichts taugen und kaum etwas wert“ sind. Eine Botschaft, die ausdrücklich auch der Cosa Nostra galt.

Die Mafia ist schliesslich einst, vor über 150 Jahren, als eine Art Selbsthilfe-Organisation entstanden: als Interessenvertretung einer machtlosen Bevölkerung, die seit Jahrhunderten von wechselnden Macht(in)habern gnadenlos ausgenutzt worden war: von Phöniziern, Karthagern und Griechen, Römern, Vandalen, Arabern, dem Haus Anjou, Normannen, Staufern, Bourbonen, Habsburgern, Kirchenfürsten, Landlords und norditalienischen Grosskapitalisten. Und seit einigen Jahrzehnten besonders brutal von der Cosa Nostra.

Die Cosa Nostra hatte sich von einer bestenfalls halblegalen Schutz- und Ordnungsorganisation zu einem „Staat im Staat“ entwickelt. Ihre Anführer verfolgten immer mehr eigene Interessen und machten in ihrer Profitgier den Westen Siziliens in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu einer Hauptproduktionsstätte und Handels-Drehschreibe für harte Drogen, vor allem für Heroin und Kokain.

Gegen die Rolle als Startrampe für Mittelstreckenrapeten

Zusätzlich erbost war seinerzeit das Volk Siziliens darüber, dass ausgerechnet der von den alten Griechen kolonisierte und als traditionell besonders menschenfreundlich geltende Südosten der Insel als Startrampe für US-amerikanische Mittelstreckenraketen herhalten musste, die in Comiso eingerichtet wurde, um den Libyer Muammar-al- Gaddafi besser in Schach halten zu können.

Mit Bomben gegen die Mafia-Jäger

Seit dem wütenden Protest nach der Ermordung Dalla Chiesas im September 1982 geht es mit der Cosa Nostra bergab. Denn der öffentlich blamierte Staat machte endlich ernst im Kampf gegen diese Mafia, von der sich offensichtlich auch hochrangige Staatsdiener hatten korrumpieren lassen.

Der Blutzoll, den die Wende forderte, ist enorm. Zu den Opfern der Verbrecherorganisation zählt Piersanti Mattarella, der damalige Ministerpräsident der Region Sizilien (und Bruder des derzeitigen Staatspräsidenten Sergio Mattarella), ein entschiedener Gegner der Cosa Nostra. Er war 45 Jahre alt, als er 1980 von Mafia-Killern in Palermo auf offener Strasse niedergeschossen wurde. Hinzu kommt die Ermordung der als „Mafia-Jäger“ verehrten, heimischen Juristen Paolo Borsellino und Giovanni Falcone, der eine Oberstaatsanwalt, der andere Untersuchungsrichter. Sie waren in Palermo geboren und aufgewachsen, waren bei ihrer Ermordung 51 und 52 Jahre alt. Sie fielen 1982, ebenso wie Richter Rocco Chinnici, Bombenattentaten zum Opfer, die von der Cosa Nostra arrangiert worden waren.

Staatsanwalt Gaetano Costa und Polizeichef Boris Giuliani wurden, wie Piersanti Mattarella und Kommunisten-Chef La Torre, von den Gangstern auf offener Strasse erschossen; Giuliani, nachdem er gerade einen seiner kleinen Enkelsöhne auf den Arm genommen hatte.

Fünfmal zum Stadtoberhaupt gewählt

Es waren drei Juristen, Orlando, Falcone und Borsellino, die es offenbar am besten verstanden, das von der Cosa Nostra bereits gefährlich angefressene, politisch-soziale Ruder herumzureissen. Der erste dieser drei Rechtsgelehrten, Leoluca Orlando, wurde am 1. August dieses Jahres (2023) 76 Jahre alt. Dieser Mann, der 1985 erstmals zum Bürgermeister von Palermo gewählt worden war, hatte dieses Amt sage und schreibe 37 Jahre inne, bis Ende 2022. Er war, mit Unterbrechungen, nicht weniger als fünfmal zum Stadtoberhaupt der wahrscheinlich kompliziertesten Metropole Europas gewählt worden.

Orlando, der Europäisches und Internationales Recht unter anderem in Heidelberg und Oxford studiert hat, arbeitete in und an Sizilien nicht nur als Stadtoberhaupt, sondern auch als Europa-Abgeordneter, als Mitglied des sizilianischen Regionalparlaments und als Abgeordneter der italienischen Nationalversammlung.

Leoluca Orlando, der ein Dutzend Sachbücher (darunter „Ich sollte der Nächste sein“) geschrieben hat und eine Stiftung (für das „Rinascimento di Sicilia“/die „Wiedergeburt Siziliens“) mit Sitz in Palermo und Tijuana (Mexiko) gründete, verstand es, den „Palermitanischen Bürgersinn“ neu zu wecken und mit Leben zu erfüllen. Für alte Freunde Palermos ist die Stadt, wie sie sich unter Orlando verändert hat, kaum wiederzuerkennen.

Kommunalpolitisches Wunderwerk mit Lebenskraft

Was Leoluca Orlando, der seit Jahrzehnten nur mit Leibwächtern unterwegs sein darf, und seine Mitstreiter erreicht haben, gleicht einem kommunalpolitischen Wunderwerk. Das historische Zentrum Palermos, noch vor 25 Jahren zu grossen Teilen ein dunkles und gefährliches „No-Go-Area“ unter der Fuchtel der Cosa Nostra, ist heute eine interessante, spannende Angelegenheit voller Vitalität: ein veritables Vorzeigeprojekt, von dem europäische Metropolen lernen können. Umfangreiche Restaurierungen haben den Verfall ehrwürdiger Palazzi gestoppt und jahrzehntelang verschlossene Kirchen und Kapellen wieder zugänglich gemacht.

Zahlreiche Märkte und Marktstrassen, die Palermo wie Blutgefässe durchziehen, machen diese Stadt zum grössten Marktplatz des Mittelmeers, am Leben gehalten vor allem durch emsig tätige Beschäftigte aus Afrika und Südostasien. Die liberale, ausgesprochen menschenfreundliche Aufnahmepolitik unter der Regie Leoluca Orlandos sorgt für den nötigen Nachschub an Personal. Diese Politik wird von zahlreichen, oft kirchlich unterstützten, tatkräftigen Organisationen begleitet und gefördert.

Die Stadt der Bürgerschaft zurückgegeben

Auch das Palermer Teatro Massimo, Italiens grösstes Opernhaus, ist nach einer gründlichen Erneuerung längst wieder zugänglich. Mit kilometerlangen Fussgängerzonen wurde das historische Zentrum von Palermo wohnlich ausgestaltet und vor überbordendem Individualverkehr ganztägig (!) geschützt. Kurzum: Unter der Regentschaft von Leoluca Orlando ist die Stadt ihren Bürgerinnen und Bürgern zurück gegeben worden. Das hat den Stolz der Bürgerschaft auf „ihr“ Palermo neu geweckt und voran gebracht: wichtigste Voraussetzung für ein gesundes Gemeinwesen, in dem es sich gut und sicher leben lässt.

Der Palermitanische Bürgersinn manifestiert sich auch darin, dass der Flugplatz der sizilianischen Metropole nach den beiden ermordeten Anti-Mafia-Helden benannt ist: „Aeroporto Falcone-Borsellino“. Die beiden sympathischen und zeitlebens beliebten Juristen sind ausserdem nicht nur überlebensgross, sondern riesengross verewigt auf der Südfassade des Nautischen Instituts am Ende der via Vittorio Emmanuele neben dem alten Hafen der Cala, des malerischen, innerstädtischen Yachthafens unweit der Porta Felice.

Erstmals Stahlbeton im Jugendstil

In Palermo leben etwa 1 Million Menschen. Offiziell sind es etwas mehr als 700.000, aber die traditionell offene Gesellschaft der Stadt mit ihren teilweise zauberhaften Vororten hat stets eine recht grosse Anzahl von Gästen und Neuzugezogenen aus aller Welt aufgenommen, vor allem aus dem nahen Afrika, aber auch aus Asien, vor allem aus China und dem Südosten Indiens, besonders viele aus Bangladesh.

Nordwestlich vorgelagert ist der Innenstadt von Palermo das Massiv des „Pilgerbergs“ , des fast 600 Meter hohen „Monte Pellegrino“ mit dem ehemaligen Fischerdorf Mondello am Fuss seiner Westflanke, wo kurz nach 1900 belgische und italienische Investoren ein mondänes Gegenstück zum Fürstentum Monaco auf der 600 Kilometer entfernten, gegenüber liegenden Seite des Mittelmeers, realisieren wollten. Der Beginn des Ersten Weltkriegs bremste das Grossprojekt aus, zu dem über 100 Jugendstil-Villen gehören sollten. Die Zahl verspielter Jugendstilgebäude in Mondello ist deshalb bis heute überschaubar geblieben.

Immerhin aber entstand damals in Mondello (heute leben dort gut 60.000 Menschen) mit dem „Stabilmento“ die weltweit erste Anlage aus Stahlbeton im Jugendstil, ein luxuriöses, schneeweisses Gebilde auf schlanken Stelzen im smaragdgrün leuchtenden Meer als Kombination einer grosszügig angelegten Badeanstalt mit Kabinen, Sonnendecks, Bars und Restaurant. Es ist das „Charleston“ samt wunderweissem Sandstrand: Vergleiche mit dem Traumstrand vom Capo San Vito (bei Trapani) und mit der Copacabana von Rio de Janeiro sind durchaus angebracht.

Palermo als „Erbe der Menschheit“

Palermo ist 2018 zur „Kulturstadt Italiens“ erhoben worden. Eine logische, ja überfällige Erhebung! Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es dort, im Grossraum Palermo, eine Architektur, eine Bauweise und Bauausstattung gibt, die nur auf Sizilien anzutreffen ist, subsumiert als der „Normannische Stil“. Er ist nun als besonders wertvolles „Erbe der Menschheit“ von der UNESCO unter Schutz gestellt.
Es handelt sich dabei um einen (an der französischen Romanik basisorientierten) Baustil samt Innendekor, wie er sich als romanisch-arabisch-byzantinische Mischung vor allem in Sakralbauten Nordsiziliens manifestiert: etwa in der Kathedrale von Cefalu, der wunderbaren Capella Palatina im Palermitaner Normannenpalast (dem „Palazzo Reale“ von Stauferkaiser Friedrich II.), dem Dom von Monreale oder dem daneben liegenden Kreuzgang des ehemaligen Benediktinerklosters, ferner in Kirchen wie der „Martorana“ oder in dem San Cataldo geweihten Gotteshaus an der Palermer Piazza Bellini, der Kirche San Giovanni degli Eremiti oder in der zauberhaften „Maggione“ am Südostzipfel des gleichnamigen Platzes.

Nicht weit davon verläuft die via Alloro, mitten durch die „Kalsa“, den ältesten Stadtteil von Palermo, in dem sich vor über 1000 Jahren neben kleinen jüdischen Gemeinden und über 100 Moscheen die Nobili der Araber niederliessen, die Familien der Emire, die Sizilien zu einem ihrer Kalifate gemacht hatten.

Auch Syrakus, eine Zeitlang die grösste und mächtigste Stadt Ostroms (und ein paar Jahrzehnte lang sogar Haupstadt von Byzanz) hatte für besondere Prachtbauten die besten byzantinischen und arabischen Handwerker und Künstler zur Verfügung. Viele Strassen und Gassen der Kalsa sind heute auf Anordnung Leoluca Orlandos in drei Sprachen ausgeschildert: in Italienisch, Arabisch (Palästinensisch) und Hebräisch (Israelisch ). Wer weiss schon, was sonst noch alles war in Palermo; manche Felszeichnungen in den Kalksteingrotten des Monte Pellegrino sind 40.000 Jahre alt.

Wachsam sein in Catania

Zur sizilianischen Wahrheit gehört aber auch, dass die grösste Insel des Mittelmeers nicht nur mit der Sicherheit Palermos aufwartet, sondern auch mit einer besonders gefährlichen Stadt: mit Catania im Osten, der Hafenstadt am Fuss des über 3000 Meter hoch aufragenden Ätna, des grössten und aktivsten Vulkans von Europa. Dort, 350 Kilometer entfernt von Palermo, wo man lange vermutete, dass die Cosa Nostra in Catania nie so richtig in die Gänge kommen würde, bildete sich ein mittlerweile gefürchtetes Bandenunwesen heraus, das sich auf Ein- und Aufbrüche von Wohnungen und Autos (auch Lastwagen) spezialisiert hat.

Das hat Catania, ganz im Gegensatz zu Palermo und dem Inselinneren, zu einer ähnlich unsicheren Stadt wie Neapel oder Mailand gemacht. Man sollte deshalb, wenn man mit dem Auto unterwegs sein möchte, Catania besser meiden – oder dort wenigstens wachsam sein. Und wenn wir schon von gefährlichen Städten berichten: Die gefährlichste Stadt Europas ist laut Polizeistatistik London, gefolgt von Rom und Paris. Die allersicherste Stadt Italiens ist aktuell Triest an der Grenze zu Kroatien.
Die weltweit sicherste Stadt der Welt ist übrigens Katar am Persischen Golf, aber nur dann, wenn dort nicht gerade Fussball gespielt wird.



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