Dornröschen » Blog Archive » Ausgekocht: Zum Abschied von Maurizio und Sylvia
Leserkommentare
 
Sponsoren
7. Juli 2024 | Der allerfeinste Italiener ist weg

Ausgekocht: Zum Abschied von Maurizio und Sylvia

Konstanz (gro) Nicht nur mit der Europameisterschaft ist es vorbei – auch die Konstanzer Gastronomie hat verloren, und zwar das „Pinocchio“, und das nach nicht weniger als 37 Jahren, in denen Sylvia und Maurizio Canestrini und ihre Tochter Olivia samt Sohnemann Michelangelo das Lokal an Laube und Obermarktgasse zu einem hochgeschätzten Treffpunkt für Liebhaber italienischer Gastlichkeit gemacht haben. Das „Pinocchio“ war nicht nur der Treffpunkt für Feinschmecker, sondern, nicht zuletzt wegen der von Sylvia aufmerksam gesteuerten Betreuung, auch eine bevorzugte Oase für Geschäftsleute und für die Welt der Kunst, für Schauspieler und andere Show-Grössen. Ein Teil der TV-„Fallers“ war regelmässig anzutreffen, meist mit Ursula Cantieni; man sah dort Katja Riemann sowie Rosa Maria Carreira mit Paolo Consentino aus Sao Paulo und ab und zu trommelte dort Schlagzeuger Günther Baby Sommer. Neneh Cherry („Seven Seconds“, “Women”) feierte im „Pinocchio“ nach ihrem umjubelten Auftritt auf Dieter Bös` Zeltfestival und Tanzschiff mindestens eine halbe Nacht lang. Das “Pinocchio” war auch eine veritable Galerie, in der grossformatige Gemälde von Peter Tandler farbstark mit Silvia Canestrinis feinsinnigen Kompositionen und Portraits wetteiferten (und, ganz nebenher, den Appetit noch zu steigern verstanden).

Sanft gewürzte Harmonie

Bei aller italienischen Kochkunst, die Maurizio Canestrini in seiner Küche mit eisernem Kochlöffel gnadenlos durchsetzte und im Bewusstsein seiner Gäste verankerte, blieben einige auch hierzulande wohlbekannte Gerichte nachhaltige Renner. Besonders hervor zu heben sind dabei „Spaghetti alla Carretiera“, ein zwar schlichtes, aber gerade deshalb wirklich sehr selten so perfekt auf den Teller gebracht und kredenzt wie von Olivia oder Michelangelo im „Pinocchio“: eine sanft, aber doch kräftig gewürzte Harmonie aus Spaghetti, Peperoncino, geschnitzeltem Knoblauch, erstklassigem Olivenöl aus den Abruzzen und Spuren von Petersilie (und oben drauf, je nach Gusto, frisch geriebener, gut gereifter Parmigiano, Pecchorino oder Grano Padano).

Einfach, aber das am besten

Küchenmeister Maurizio sah sich immer auch der Kochkunst seiner Heimat verbunden, vor allem deren Motto „Einfach, aber das am besten“. Bis heute schwärmt der hochgewachsene Gastronom, inzwischen 77 mit gut 50 Jahren Berufserfahrung, von der “im Grunde ganz schlichten Küche” seiner Heimat. Er stammt aus „Bagno di Romagna“, ein sich stürmisch entwickelndes Bergstädtchen in 800 Metern Höhe, das allein von 1980 bis heute von gut 1800 auf weit über 5000 Einwohner angewachsen ist. Es liegt in einem Hochtal des dort sanft bewaldeten Apennin, wo sich die Luftlinie zwischen Florenz und Rimini mit jener von Perugia nach Bologna kreuzt. Heute gibt es in Bagno di Romagna 11 Hotels und etwa 20 Restaurants. Eines davon gehörte einst der Familie Canestrini.

Die Tiefkühl-Pizza mitentwickelt

Maurizio versuchte sein Glück in der Ferne, im gelobten Germania, und das gleich in der Hauptstadt Berlin. Neben seiner Anstellung in einem Restaurant lernte er Sylvia kennen, eine Schönheit aus dem Stadtteil Dahlem, aus einer Künstlerkolonie zwischen Breitenbachplatz und Südwest-Corso - und er kam in Kontakt mit einem Lebensmittelingenieur des Dr.-Oetker-Konzerns, mit dem er die Tiefkühl-Pizza entwickelte. Da konnte Konstanz noch ein paar Jährchen warten. 1987 war es dann endlich so weit.

„Hat wieder ausgezeichnet geschmeckt!“

Mein Lieblingsgericht, das möge dem Autor dieses Kurzberichts zugestanden werden, bleibt nach wie vor der „Osso Buco alla Milanese“, zubereitet nach dem Rezept von Signor Canestrini und begleitet von behutsam gewürztem Safran-Risotto. Zum Nachtisch bitte eine „Panna Cotta“, die beste „Crema Catalana“ vom Bodensee, eine ebenso perfekte Zabaione oder die wunderbaren Apfeltörtchen alla Maurizio (aber bitte mit Sahne! und alles, wie gesagt, serviert von Olivia oder Michelangelo). Und Pinocchio, der (in Holz gehaltene) Held mit seiner grossen Nase? Die Legende erzählt, dass diese Nase, wann immer er geschwindelt hat, ein Stückchen weiter gewachsen ist. Kein Wunder, dass im „Pinocchio“ nie gelogen wurde, vor allem dann nicht, wenn nach dem Essen versichert wurde: „Hat wieder ausgezeichnet geschmeckt!“. Bild: Frieder Schindele



 Kommentieren    Trackback    Drucken

Noch keine Kommentare

Neuen Kommentar schreiben ...