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26. September 2006 | Warnung, Verdikt und Spendenaufruf

„Dreister Versuch eines bankrotten Adelshauses“

Konstanz/Salem/Stuttgart (gro) Die erste große öffentliche Warnung ist im „Südkurier“ zu finden gewesen, wo Tobias Engelsing zum vergangenen Wochenende darauf aufmerksam machte, dass das in Salem residierende markgräfliche Haus Baden danach strebe, Hunderte von Schriften aus der Blütezeit des Klosters Reichenau zu verscherbeln, um seine Finanzen aufzubessern. Nun folgt wenige Tage später das publizistische Verdikt in der „Süddeutschen Zeitung“, wo Norbert H. Ott diesen „dreisten Versuch der Veruntreuung“ mit einem halbseitigen Aufmacher im Feuilleton geißelt. Das Verdikt gilt der Stuttgarter Landesregierung und einem „bankrotten Adelshaus“, das sich nicht scheue, seine schwindsüchtige Privatschatulle durch den Verkauf von Kulturgut aufzufüllen, das längst ins Eigentum der Allgemeinheit übergegangen sei. Ministerpräsident Günther Oettinger hat indessen zu Spenden aufgerufen, auf dass dem klammen Adelshaus möglichst viele Schätze abgekauft werden können.

Eine angeblich strittige Rechtslage

Es geht um die Handschriftensammlung der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe und damit neben vielen anderen bibliophilen Kulturschätzen auch um den romanischen Pergamentcodex 241 (unser Bild) von der Reichenau. Engelsing hat dem Adelshaus immerhin eine Art Verbotsirrtum zugestanden: Die Salemer, die sich wegen weiterer, notwendiger Sanierungen ihrer Besitztümer in einer dramatischen finanziellen Notlage befänden, seien überzeugt, dass sie Anspruch hätten auf die wertvolle Handschriftensammlung.

Auf der anderen Seite sei sich das Land Baden-Württemberg nicht sicher, ob es den Rechtsansprüchen des Hauses Baden auf Dauer widerstehen könne, das Kunstschätze im Wert von 250 Millionen Euro wiederhaben will. Und in der Tat: Wegen der angeblich strittigen Rechtslage erklärte sich das Land bereit, die Handschriftensammlung im Wert von 70 Millionen Euro herauszurücken. Im Gegenzug soll das Adelshaus auf andere beanspruchte Kunstschätze zu Gunsten des Landes ein für alle Mal verzichten.

Nie auch nur einen Pfennig in die Sammlung investiert

Norbert H. Ott ist dagegen überzeugt, dass „eine angeblich noch immer strittige Rechtslage von Seiner Hoheit und ihrem willfährigen Vasallen auf dem Stuhl des baden-württembergischen Ministerpräsidenten“ nur vorgeschoben wird. Wie Ott in der „Süddeutschen“ darlegt, ist zumindest der Anspruch auf die 3500 Karlsruher Handschriften, die bereits 1872 in die Obhut des damaligen badischen Innenministeriums gelangten, längst erloschen. Im übrigen habe die markgräfliche Familie nie auch nur einen Pfennig investiert in die Erhaltung, in die wissenschaftliche Aufarbeitung oder in die Pflege der Sammlung.

Das hätten andere getan: das Land, das hohe Beträge zur Restaurierung bereit stellte, die Badische Bibliotheksgesellschaft, die durch großzügige Spenden Ankäufe unterstützte, und die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die seit 1960 Hunderttausende an Steuergeldern locker machte, um die Katalogisierung der Handschriftensammlung zu ermöglichen.

Entsetzen auf der Reichenau

Die Kunde vom drohenden Verkauf Reichenauer Handschriften hat, wie Engelsing berichtet, auf der Insel im Untersee „Entsetzen ausgelöst“. Das Weltkulturerbe der Reichenau werde womöglich „dramatisch geschmälert“, bevor es richtig angetreten werden könne – sollte sich das Land, wie die „Süddeutsche“ befürchtet, tatsächlich „zum Erfüllungsgehilfen feudaler Privatinteressen machen und nach Vandalenart eine ihrer bedeutendsten Handschriftensammlungen plündern“.

Es wird auch am Landesparlament liegen, ob die Karlsruher Bibliothek zur „Provinzklitsche verkommt“ (Ott). Vielleicht hilft den Abgeordneten bei allfälligen Entscheidungen die Erinnerung daran, dass die Karlsruher Handschriften das Einzige waren, was 1942 nach einem Luftangriff der Alliierten vom Bestand der Landesbibliothek übrig geblieben war.

Schon einmal aus der Klemme geholfen

Wesentlich weniger Aussichten dürfte ein Spendenaufruf Oettingers haben, der damit „so viele Schätze wie möglich für das Land retten“ möchte. Der Stuttgarter Regierungschef kündigte nun laut dpa die Einsetzung einer „hochrangigen Projektgruppe“ an. Schon einmal hatte das Land dem Fürstenhaus aus der Klemme geholfen: Für 45 Millionen Mark kaufte es der Markgrafenfamilie 1995 die wichtigsten Werke einer 25.000 Kunstwerke umfassenden Sammlung ab, die damals im Neuen Schloss zu Baden-Baden vom Auktionshaus Sotheby’s versteigert wurde.

Im Württembergischen undenkbar

Im württembergischen Landesteil wäre ein derartiger Konflikt undenkbar. Denn König Wilhelm I. betrachtete Kulturschätze nicht als sein privates Hauseigentum, sondern überführte sie dem so genannten Krongut, dem Eigentum des Königreichs. Dieses Krongut ging nach dem Ende der Monarchie an den Staat über und gehört heute dem Land Baden-Württemberg – genau wie eigentlich auch die Karlsruher Handschriftensammlung, die, siehe oben, im Jahre 1872, also vor 134 Jahren, dem badischen Innenministerium anvertraut wurde.



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2 Kommentare

  1. 1. Daniel Gross

    Da stösst sich eine Familie während der Säkularisierung und mit der Mediatisierung zu Beginn des 19. Jh. gesund (wie kamen denn die Handschriften in ihren Besitz? Oder das Kloster Salem?), dann gelangt sie noch in den Besitz grosser Güter des Konstanzer Heilig-Geist-Spitals (Weinberge auf der Überlinger Seeseite!), als es aufgeteilt wurde in der 2. Hälfte des 19. Jh. - und jetzt - vor diesem Hintergrund - diese Ansprüche und dieser Deal! Ich frage mich, was macht das Haus Württemberg so anders, dass es auf soliden wirtschaftlichen Grundlagen steht?

  2. 2. Administrator | http://www.tmw-kn.com/

    FDP—Stadtverband Konstanz : „Die bedeutendste fürstliche Büchersammlung der frühen Neuzeit soll verhökert werden“

    Stellungnahme des FDP-Vorstandes Konstanz zum geplanten Kunstfrevel in Baden-Württemberg.

    In einem einstimmig gefassten Beschluss zu dem von Ministerpräsident Oettinger betriebenen Ausverkauf wertvoller Handschriften der Badischen Landesbibliothek, Karlsruhe, fordert der Vorstand der FDP-Konstanz die FDP-Minister der Landesregierung sowie die Mitglieder der FDP-Fraktion im Baden-Württembergischen Landtag auf, sich dem drohenden Verlust wertvollen Kulturgutes strickt zu widersetzen.

    In der Begründung zu diesem Beschluss heißt es: Nachdem zur angeblichen Rettung des Schlosses Salem und der Abtei nicht - wie zuerst genannt – 70 Millionen Euro sondern nur noch 30 Millionen (Kunstminister Dr. Frankenberg) benötigt werden, sei der Verdacht berechtigt, dass der gesamte Kunstbesitz des Hauses Baden (ca. 350 Millionen Euro) durch einen Vergleich mit dem Fürstenhaus zu einem sehr geringen Preis erworben und auf dem Kunstmarkt zum Stopfen von Haushaltslöchern meistbietend verhökert werden soll.

    Um dieses zu verhindern, schließt sich der FDP-Vorstand Konstanz der Meinung des Landtags-Fraktionsvorsitzenden der FDP, Herrn Dr. Noll, an, die Landesregierung darin zu unterstützen, im Lande Mäzene zu finden, die durch ihre Spenden den Verbleib dieser wertvollen Sammlung in Karlsruhe sichern soll. Sollte dies nicht gelingen, so wäre auch die Badische Landesbibliothek als Forschungseinrichtung, in deren Handschriftensammlung die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in den letzten Jahren einen Millionenbetrag investiert hat, höchst gefährdet.
    Um ganz sicher zu sein, solle der Bundes-Kulturstaatsminister Neumann ersucht werden, die Handschriftensammlung in die Liste der nicht veräußerbaren nationalen Kulturgüter aufzunehmen.

    Abschließend wird die FDP-Bundestagsabgeordnete und Landesvorsitzendes der FDP – Baden - Württemberg, Birgit Homburger, aufgefordert, ihren Einfluss auf eine positive Entscheidung in dieser Sache geltend zu machen.

    Einstimmig beschlossen
    f.d.R
    Dr. Tatjana Wolf
    1. Vorsitzende
    FDP—Stadtverband Konstanz

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