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11. Dezember 2010 | Zu den neuen Erkenntnissen in Sachen Bruno Helmle

Das Irritierende an der deutschen Vergangenheit

Konstanz (gro) Mamma mia! Braune Schatten über Bruno Helmle!! Okay, der „Südkurier“ hat aufmerksam zugehört, als Stadtarchivar Jürgen Klöckler am Rande eines Vortrags zur Willfährigkeit der Stadtverwaltung während der NS-Zeit über die Amtstätigkeit des ehemaligen Oberbürgermeisters Helmle im Dritten Reich berichtete. Wo aber sind die „Enthüllungen“, die Bruno Helmle „entlarven“ (Südkurier vom 9. Dezember 2010)? Die Stadtverwaltung warnt vor voreiligen Urteilen. Was von Klöckler im Hinblick auf Helmle zu Tage gefördert worden sei, sei zwar „irritierend“, beweise aber noch lange „keine Nazivergangenheit“. Klöcklers Vortragsreihe „Überholte Vorbilder? Personennamen auf Konstanzer Strassenschildern“ wurde in Zusammenarbeit mit Museumsdirektor Tobias Engelsing auf den Weg gebracht.

Der Nährboden für Eroberungsabenteuer

Weder Holocaust noch rassistisch motivierte Vernichtungspolitik werden heute von ernst zu nehmenden Historikern angezweifelt, sofern es um die Absichten und Massnahmen des NS-Regimes ging. „Ewiger“ Streitpunkt ist dagegen die Frage, ob es Adolf Hitler, der „Führer“, „der absolut Böse“ war, der das deutsche Volk ins Verderben (ver-)führte – oder ob es das deutsch-preussische Volk war, das Adolf Hitler vor dem Hintergrund der demütigenden Versailler Verträge aus dem Jahr 1918 den Nährboden für dessen Eroberungsabenteuer bot.

Aufnahmestopp der NSDAP im Jahre 1933

Im Jahre 1933, kurz nach dem überwältigenden Wahlsieg der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), erliess eben diese NSDAP einen Aufnahmestopp. Der allgemeine Zustrom in die Partei war so angeschwollen, dass die Parteioberen einen unkontrollierbaren Zuwachs von Opportunisten befürchten mussten. Der Stopp gehört bis heute zu den eher unbekannten Entwicklungen der NS-Zeit. Die Aufnahme in die NSDAP wurde ab 1933 nur noch in Ausnahmefällen erlaubt, hinderte aber zum Beispiel Tobias Engelsings Vater Herbert nicht daran, Mitglied der NSDAP zu werden (nachzulesen in Ingeborg Malek-Kohlers „Im Windschatten des Dritten Reiches“, Herderbücherei ISBN 3-451-08288-8).

Bruno Helmle hätte kaum überlebt

Herbert Engelsing war sehr wahrscheinlich nie ein Freund der NSDAP, verstand es aber, als Syndikus der deutschen Ufa, bis zum Kriegsende in Konstanz ohne Feindberührung als Zivilist zu überleben. Helmle hätte kaum überlebt, wenn er die Unterschrift unter das Papier vom 22. Februar 1945 verweigert hätte, das ihm nun “Braune Schatten” attestiert. Helmle wäre vermutlich, so war es damals jedenfalls üblich, an die Front abkommandiert worden.

Nur eine Liste unbotmässiger Strassennahmen?

Ein Tobias Engelsing, unser Konstanzer Museumsdirektor, ein von der aktuellen Geschichte lebhaft berührter Mann, ist nach Ansicht von bürgerschaftllch engagierten Menschen ein Segen für diese Stadt. Gerade von Ihm sei ein „aufgeklärtes Urteil“ zur Rolle von Bruno Helmle zu erwarten, den die meisten Konstanzer als einen den humanistischen Idealen verpflichteten Menschen erlebt haben. Man hofft in diesen Kreisen jedenfalls, dass bei der weiteren Erforschung der Konstanzer NS-Vergangenheit mehr heraus kommt als eine Liste mit unbotmässigen Strassennamen.Bild: Frieder Schindele



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5 Kommentare

  1. 1. conni

    So einfach, wie es sich jene nebulösen konstanzer “Kreise” machen wollen ist es nun auch nicht. Helmle hat zeit Lebens zu seiner Biographie gelogen. Wäre er nur ein kleines Beamtlein in einem Finanzamt gewesen - dann hätte er das nicht tun müssen. Niemand hätte ihm deshalb große Vorwürfe gemacht. Das Interessante an der Geschichte ist doch, dass jene konstanzer “Kreise” natürlich großteils wussten, dass Helme enger mit dem NS-Staat verbandelt war, als er zugegeben hat. Hinter vorgehaltener Hand wurde das ja immer gesagt. Aber erst 65 Jahre später wird es erstmals offen ausgesprochen. Und noch immer hoffen die “Kreise”, dass man mit dem schönen Bruno pfleglich umgehe. Denn er war einer von ihnen.

  2. 2. curnonsky

    Mir wäre das Thema wahrscheinlich scheißegal, wenn ich nicht persönlich betroffen wäre. Und genau das macht den Unterschied. Aber wer fragt sich noch, wer diese „Konstanzer Kreise“ sind? Allen Profiteuren und Nachkommen derselben, die genau wissen, auf wessen Kosten sie unrechtmäßig reich und/ oder Grundbesitzer geworden sind, sollte mal eben der ungepflegt riechende Arsch auf Grundeis gehen. Wir sehen uns!

  3. 3. Kultur

    Wichtig ist hierbei, historisch zu ergründen, ob der Verwaltungsmann wirklich sich selbst in Gefahr gebracht hätte, wenn er nicht gewisse Dokumente unterschreiben würde. Auch diese Einschätzung sollte ein Historiker erwähnen. Hier wird ja die gewünschte Generalamnestie fast aller, die im NS-Staat irgendwie im Dienste der Staatsmacht gestanden sind, diskutiert. Auch die obersten NS-Verbrecher haben sich in den Nürnberger Prozessen als nicht schuldig benannt und auf obere Weisungen für ihre Taten hingewiesen. Für die wohl meisten Staatsbürger der jüngeren Generation ist es aber sehr wichtig, dass Licht in die verwaltungstechnischen Abläufe von dieser Institutionen seiner Zeit gebracht wird. Dies sind wir auch den deportierten Konstanzer Juden schuldig, und dafür sollte man den lokalen Historikern danken. Sind die Ehrungen mit Straßenbenennungen früherer Zeiten für unser ethisches Verständnis noch angebracht? Gemeint sind die Straßennahmen erfolgreicher Generäle im preußischen Heer, wie von Moltke und von Emmrich. OB Knapp (Knapp-Passage beim Rathaus) hatte als städtischer Rechtsrat in der Nazidiktatur mit der städtischen Judenfrage zu tun. Haben wir wirklich schon aus der Geschichte gelernt? Wer das Unrecht an den Konstanzer Juden anprangert, muss sich auch mit den Verantwortlichen dieser Zeit auseinander setzen.

    Ãœbrigens Herr Gropper, dass mit der Retourkutsche auf Engelsings Vater, finde ich gar nicht gut.

  4. 4. Engelsing

    Tendenziöse Angaben

    Die tendenziösen Angaben über meinen Vater, den späteren Rechtsanwalt Dr. Herbert Engelsing (1904 – 1962) sind insgesamt unrichtig. Durch die Art und Weise ihrer Darstellung und insbesondere durch das Weglassen eines klarstellenden Hinweises legen sie dem unbefangenen Leser eine Sinninterpretation nahe, die nicht der Wahrheit entspricht. Mein Vater, damals Richter in Berlin, trat am 1. Mai 1933 mit zahllosen anderen Berliner Richtern der NSDAP bei. Später trat er aus der Partei aber wieder aus. Zwischenzeitlich hatte er nämlich den Justizdienst im NS-Unrechtsstaat aus Überzeugung verlassen, war beim damals noch internationalen Filmkonzern Tobis-Europa AG beschäftigt und hatte 1937 eine „nicht-arische“ Frau geheiratet, die Mutter meiner Halbgeschwister. Die angeblich fehlende „Feindberührung“ (diese Wortwahl kann schwerlich vom Pazifisten Erich Gropper stammen, sie muss ihm aus bräunlicheren Quellen zugeflossen sein) erlebte mein Vater im eigenen Land: Als Ehemann einer „Halbjüdin“ und Vater von „Mischlingen“, als Mitglied im Freundeskreis der später von der Gestapo so genannten Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ um Harro Schulze-Boysen und als Filmproduzent, der über Jahre Bedrohte und Verfolgte versteckte oder ihnen zur Flucht verhalf, war sein Überleben als „Zivilist“ in Berlin, wie Herr Gropper in schmähender Absicht schreibt, keineswegs gesichert.

    Dr. Tobias Engelsing
    Konstanz

  5. 5. Kultur

    Ja Herr Gropper, meinen Kommentar haben Sie ja weggelassen. Bei aller Hochachtung für Ihren guten Job den Sie machen, aber diese Darstellung zu Engelsings Vater musste wirklich nicht sein. Darstellungen über Helmle anprangern, aber dann den Ball in gleicher Weise zurück werfen. Hätte nicht sein müssen.

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