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3. Mai 2012 | Vom Umgang mit Ehrenbürgerschaften

Die Universität zurückgeben – das wäre konsequent

Konstanz (gro) Wer Bruno Helmle posthum die Ehrenbürgerwürde wegen seiner Beamtentätigkeit unter den deutschen Nationalsozialisten aberkennen will, sollte sich auch dafür einsetzten, die Konstanzer Universität zu schliessen. Das wäre wenigstens konsequent. Denn Helmle, der einstige Konstanzer Oberbürgermeister, verstorben 1996, wurde ja deswegen zum Ehrenbürger gemacht, weil er massgeblichen Anteil hatte an der Gründung der Bodenseeuniversität im Jahre 1966. Bei der Gelegenheit sollte dann auch gleich Kurt Georg Kiesinger, der bereits 1988 das Zeitliche gesegnet hat, aus der Ehrenbürgerliste der Stadt Konstanz getilgt werden. Auch er wurde für seine Verdienste um die Universitätsgründung gewürdigt, und Kiesinger hat wirklich Karriere gemacht im Dritten Reich als Mitglied der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (NSDAP), der er, anders als Helmle, bis 1945 angehörte. Höchste Zeit auch, endlich den Namen Paul von Hindenburg zu tilgen, schliesslich war es dieser Reichspräsident, der am 30.Januer 1933 einen gewissen Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte.

Ein Verstorbener kann sich nicht wehren

Helmle war nach allen Recherchen und Gutachten ein Mitläufer und kein überzeugter Nationalsozialist, das bescheinigt ihm sogar die Historikerkommission, die im Auftrag der Stadt die Vergangenheit Helmles während des Dritten Reiches und den Aufstieg des späteren Ehrenbürgers zum Konstanzer Oberbürgermeister erforschte. Trotzdem wirkt dieses Gutachten wie eine Empfehlung: Es sei wohl angebracht, Helmle posthum die Ehrenbürgerschaft abzuerkennen. Dass das rechtlich gar nicht geht, weil eine Ehrenbürgerschaft mit dem Tod des betreffenden Menschen endet, spielt eine untergeordnete Rolle. Schon die Empfehlung bringt nachträglich Schande über den einst auf den Ehrenschild Gehobenen - und Trauer über seine Verwandten und Freunde. Und der Entwürdigte kann sich nicht wehren, weil er nicht mehr unter uns ist.


Eberhard Roth - im Zweifel für den Angeklagten

Viele Konstanzer hat es verstört, wie der ehemalige Oberbürgermeister plötzlich zum Schuft wurde, hauptsächlich durch die von der Historikerkommission zu Tage geförderte Erkenntnis, dass sich Helmle einst offenbar schamlos gütlich tat am Hausrat vertriebener Juden. Vor allem einen Mann liess das nicht ruhen, den ehemaligen CDU-Stadtrat und Mediziner Eberhard Roth. So grub der einstige Konstanzer Chefarzt ebenfalls ein in die zugänglichen Unterlagen zum “Fall” Helmle. Und Roth ging tiefer, wollte das Verhalten des damals jungen, soeben ausgebomten Familienvaters Bruno Helmle verstehen, und zwar aus den damaligen Verhältnissen heraus. So entstand ein zweites Gutachten, in dem die Fakten im Wesentlichen zwar bestätigt, aber anders beurteilt werden, und zwar, wie die Gerechtigkeit es verlangt: Im Zweifel für den Angeklagten. Der Gemeinderat hat heute die Möglichkeit, sich erneut im Umgang mit Ehrenbürgerschaften zu üben.

Scharfe Reaktion der Kommission und eine Irreführung

Bei der Beschäftigung mit dem zur Versteigerung freigegebenen Hausrat vertriebener Jüdischer Familien, unterlief Eberhardt Roth eine unglückliche Formulierung. „Man kann davon ausgehen“, schreibt Roth, „dass es sich bei dem Umzugsgut ausgereister Juden, das zur Verschiffung bereit stand, um das Vermögen wohlhabender Juden handelte. Arme Juden konnten weder auswandern, noch Möbel nach Rotterdam schaffen“. Diese Bemerkung Roths wurde von der Kommission als Beihilfe zur Bildung antisemitischer Vorurteile gebrandmarkt. Dies allerdings grenzt an Irreführung. Denn nur zwei Sätze weiter schreibt Roth erläuternd unter anderem: „Es ist keine Frage, dass es sich bei der Verfolgung, Vertreibung und schliesslich Ermordung der Juden und dem Zugriff auf ihr Vermögen um schwerstes Unrecht gehandelt hat.“


Wiedemann: „… und schon gar nicht wieder einsammeln“

Dass sich die Kritik an Zeitgenossen des Dritten Reiches in Konstanz immer wieder von neuem entzündet, hat eine gewisse Tradition, kann aber nicht darüber hinweg helfen, dass es auch hierzulande kaum Widerstand gegen die Nationalsozialisten gab. Die Brüder Venedey machten da die grosse Ausnahme. Im Übrigen flogen der „Bewegung“ damals, wie fast überall in Deutschland, die Herzen nur so entgegen. Aus diesem Grund und auch ausgrundsätzlichen Erwägungen, hält zum Bespiel Stadtrat Jürgen Wiedemann „nichts von Orden und Ehrenzeichen“. Sie hinterher wieder einsammeln zu wollen, findet Wiedemann „allerdings noch blödsinniger“.




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4 Kommentare

  1. 1. Biograf

    Die Vergabe von Orden und sonstige Ehrungen durch staatliche Stellen spiegeln den Zeitgeist und den herrschenden Umgang mit der Geschichte. So konnte man 1976 noch einen Altnazi wie Kiesinger und 1980 einen Mitläufer wie Helmle zum Ehrenbürger ernennen, ohne mit nennenswertem Widerstand zu rechnen. Dass die Stadt Konstanz wie 149 andere Städte Paul von Hindenburg 1932 zum Ehrenbürger ernannte, ist auch nur vor dem historischen Hintergrund erklärbar. Im gleichen Jahr erhielt übrigens auch der damalige Freiburger Erzbischof Konrad Gröber den Konstanzer Ehrenbürgertitel, jener Gröber, dessen Karfreitagsrede des Jahres 1941 von antisemitischem Vokabular trieft.
    Wollte man also allen aus heutiger Sicht Unwürdigen die Ehrenbürgerwürde aberkennen, die Liste würde deutlich kürzer. Da scheint es sinnvoller, die Ehrung mit dem Tod erlöschen zu lassen, was von einer Pflicht zur Aufarbeitung durch nachfolgende Historikergenerationen allerdings nicht befreit. Insofern ist die Diskussion über Helme richtig und wichtig.

    So wie Ehrenbürgerschaften mehr über die Ehrenden als über die Geehrten aussagen, entlarven sich aber auch manche Möchtergernhistoriker mit historischen Argumentationen. So taucht in Eberhardt Roths Verteidigungsversuch das altbekannte Stereotyp des »Reichen Juden« auf, das immer hervorgeholt wird, wenn Schuld relativiert werden soll. Roth plappert einfach eine Vermutung aus, ohne sich darum zu scheren, ob sie mit der historischen Wirklichkeit übereinstimmt. Oder hat er sich detailliert mit der Herkunft des Eigentums der Mannheimer Juden beschäftigt, an dem sich Helmle nachweislich in absolut schamloser Weise bereichert hat?
    In meiner 1988 zum 50 Jahrestag der Pogromnacht vom 9:/10. November 1938 erschienen Studie über die Verfolgung, Vertreibung und Ermordung der Juden meiner münsterländischen Heimatstadt (Matthias Brömmelhaus: Nach unbekannt verzogen. Die Geschichte der Warendorfer Juden in der Zeit des dritten Reiches, 1988)
    konnte ich die Auswanderung von sieben Familien - darunter diejenige von Paul Spiegel, dem späteren Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland - detailliert dokumentieren. Keine dieser Familien, die ihr Leben durch erzwungene Ausreise oder Flucht (wie die Spiegels) vor dem sicheren Tod retten konnten, war reich. Es handelte sich ausnahmslos um Kleinbürger, die meisten waren durch Boykotte und Berufsverbote seit 1933 längst in prekäre Verhältnisse abgerutscht. Ob es einem Juden rechtzeitig gelang, Deutschland zu verlassen, war von vielen Unabwägbarkeiten, vor allem von der Willkür von Beamten und NS-Parteimitgliedern abhängig.
    Zahlreiche historische Studien der letzten Jahrzehnte belegen dies eindrucksvoll.

    Roths Behauptung, bei den geraubten Gegenständen handele es sich um den Besitz reicher Juden, ist also nicht nur sachlich fragwürdig und mit großer Wahrscheinlichkeit sogar falsch. Sie steht in einer schrecklichen Tradition der Verteidigung von Tätern und Mitläufern durch Relativierung. Vor allem aber ist sei eins: zutiefst zynisch.

  2. 2. Z.W.Eifler

    Soso, Herr gro,
    “Wer Bruno Helmle posthum die Ehrenbürgerwürde wegen seiner Beamtentätigkeit unter den deutschen Nationalsozialisten aberkennen will, sollte sich auch dafür einsetzten, die Konstanzer Universität zu schliessen. Das wäre wenigstens konsequent”. Aha. Und wer einem gewissen Adolf Hitler die Ehrenbürgerwürde nicht mehr gönnen will, darf auch nicht die Autobahn nutzen - auch das “wäre wenigstens konsequent” nach Ihrer verqueren Logik.
    Ist nicht der eigentlich (und bis heute nicht aufgearbeitete) Skandal an diesem Vorgang, dass Parteimitglieder sowie willige und nützliche (und dabei auch durchweg eigennützige) Funktionsträger des NS-Regimes in der Nachkriegs-CDU-Ära fast durchweg ihre alte Karriere fortsetzen konnten, ja, dass es in Verwaltung, Polizei (das Bundeskriminalamt hat das in anerkennswerter Weise dokumentiert und aufgearbeitet), Verfassungsschutz und BND durchaus karrierefördernd war, wenn man schon vor 1945 ‘dazugehört’ und mitgemacht hat. Was die CDU in den Anfangsjahren der Bundesrepublik an Personalpolitik betrieben hat, muss man wohl ein Stück weit als Re-Nazifizeirung bezeichnen (u.a. Dahrendorf hat diesen Vorgang relativ früh untersucht; Kiesinger ist bei weitem nicht das einzige Beispiel). Und bislang ist nicht bekannt geworden, dass man in einschlägigen Kreisen Probleme gehabt hätte mit einem NS-Militärrichter, CDU-Vorsitzenden und dann Ehrenvorsitzenden, der keinen Hehl aus seiner Gesinnung machte: “Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein”. Die Duldsamkeit (nicht nur der CDU) für diese Gesinnung und die Leute, die mit dieser Gesinnung ihre Karriere fortsetzten, das ist der eigentliche Skandal. Er wuchert auch in Konstanz fort, bis hin zu dem Gedanken, die Zeit sei reif, in Deutschland mal wieder eine Universität nach einem alten Nazi zu benennen. Autobahnen und Universitäten sind ja schließlich eine gute Sache, oder etwa nicht??

  3. 3. Bauigel

    @Z.W.Eifler

    Autobahn

    Mit Ihrem Text kann man konform gehen! Die Exkulpation von national-sozialistischen Bücklingmachern, Mitläufern, Tätern und Opportunisten in der deutschen Nachkriegsgeschichte muss einer sorgfältigen Reinigung unterzogen werden.

    Jedoch mit einer Aussage in Ihrem Text kann man absolut nicht zufrieden geben. Der sicherlich von Ihnen unbewusst unterstellen Behauptung, die Autobahnen im Dt. Reich seien auf dem Mist der damaligen NS-Diktatur gewachsen. Dem ward nicht so.
    Die Entwicklung der Autobahnen lag in den Händen der Dt. Reichsbahn. Ab ca. 1920 / 22 gab es die entsprechenden Planungsbüros für diese neuartigen kreuzungsfreien Fernstraßen. Die historische Ironie liegt grausamerweise darin, dass das dt. Eisenbahnwesen sich hier fundamental ein eigenes Grab zur Selbstzerstörung im individuellen Fernverkehr im wörtlichstem Sinne geschaufelt hat.

    Mit dem Märchen, die NS-Schergen hätten uns diese Autobahnen beglückt, wird so manch eine rührselige bzw. deutschnationale Rechtfertigungs-Nostalgie bei Alt- und Neu-Nazis und rechten Bürgerlichen geweckt.
    Es gilt also: A. Hitler und seine NS-Mörderbande haben nicht die Autobahn erfunden, haben keinen Anstoß zur Entwicklung gegeben, haben nicht die ersten Autobahnen in Auftrag gegeben, sondern sind in Wahrheit erst ab der „Machtübernahme“ 1933 auf den fahrenden Zug der damals bestehenden Verkehrsplanung aufgesprungen.
    Bestenfalls hat dieses Geschmeiße die Entwicklung für mögliche neutrassierte Verlegungs-Rollbahnen für einen bereits in deren kranken Hirnen sich entwickelnden „Kampf um Lebenslauf“ bewirkt. Kleiner Trost: Ob sich diese Autobahnen kriegsverlängernd ausgewirkt haben, kann bezweifelt werden.

    Helmle

    Man kann bezweifeln, ob der windig-glatte Bruno Helmle als der große Uni-Vater angesehen werden kann. Liest man in alten Schriften aus der Zeit ab 1946 bis 1952, kann man den Traum eines alemannischen Alpenstaats vom Arlberg bis Südschwarzwald, vom Thurgau bis ins Schwabenland „sehen“.
    Und hier reifen die echten und konkreten Wurzeln zum ersten Mal über eine Universität in Konstanz. Alte Allmannsdorfer haben siech damals sicherlich gewundert, warum ein gewisser „Oller Schwede“ ihre scheinbar wertlosen Sauerwiesen und unbrauchbaren Grundstücke aufgekauft hat.
    Sicherlich haben die damaligen ahnungslosen Besitzer der im heutigen Besitz des Landes Ba-Wü befindlichen universitären Grundstücke nicht in den damaligen „Traum- und Wunsch-Postillen“ gelesen.

    Also hat der Bruno Helmle seine dienstliche Pflicht als konstanzerischer OB bezüglich der Universität erfüllen sollen und auch müssen. Engagement vom Amte wegen! Er hat diese Kausa natürlich gut erfüllt. Unstrittig. Ob diese Erfüllungen soooooo außergewöhnlich waren, sollte von professionellen Forschern untersucht werden.
    Hätte damals eine Fr. Tüchle oder ein Hr. Mützle die Funktion des konstanzerischen OB gehabt, würde kein Mensch von der von konservativ-bürgerlichen Kreisen unterstellten grandiosen Lebensleistung des Bruno H. in Verzückung fallen!

  4. 4. Kultur

    So einfach kann es sich gro ja auch nicht machen. Der Kiesinger und der Hindenburg waren böse Buben, also lasst den Helmle laufen.
    Wer war Mitläufer und wer war Nazi? Diese Dimension haben doch die Historiker bei Helmle untersucht. Wie qualifiziert gro den Mitläufer? Helmle war nach den Feststellungen der Historiker ein aktiver Profiteur des Regimes. Als Mitläufer hätte Helmle sich beizeiten reuevoll bekennen sollen. Zu den jetzt erst zutagegekommenden Fakten hätte Helmle sich auch schon bei Lebzeiten verteidigen können, wenn er diese Fakten nicht verschwiegen hätte. Durch sein bewusstes Verschweigen hat Helmle sich selbst nicht nur als Mitläufer gesehen. Selbstverständlich kann er sich jetzt nicht mehr dazu äußern und verteidigen.
    Die „Entwürdigung“ , wie es gro sieht, hat Helmle sich als Täter eingebrockt und dieser Vorgang ist jetzt nicht auf die Historiker abzuwälzen, durch die er ja letztendlich durch neue Erkenntnisse entwürdigt wird.
    Wie relativiert gro die Widerständler Venedey, als große Ausnahme? Man fragt sich, warum diese Brüder im Gegensatz zu Helmle in keinem Konstanzer Ehrenverzeichnis stehen?
    Jede Zeit hatte seine ethische Ausrichtung und Sichtweise. Aus unserem derzeitigen ethischen Verständnis können wissenschaftlich historische Erkenntnisse aus der Vergangenheit nicht damit entschuldigt werden, dass das Geschehene den damalige Verhältnissen entsprach und somit entschuldbar sei.

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