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26. August 2015 | Grossherzog Leopold I. beschädigt

Nicht ohne Land, aber ohne Hand (und ohne Urkunde)

Konstanz (gro) Historisch interessierten Zeitgenossen ist Johann ohne Land ein Begriff, der Sohn Heinrich II., dem Zeit seines Lebens die territorriale Grundlage für seinen an sich gegebenen Herrschaftsanspruch in Frankreich versagt blieb. Jean Sans-Terre, wie Johann in Frankreich genannt wurde, avancierte zwar nach dem Tod von Richard Löwenherz 1199 zum König von England, doch das nützte ihm nichts mehr. Komfortabler erging es 670 Jahre später Leopold I. Der vierte Grossherzog von Baden übernahm 1830 die Regierungsgeschäfte und wurde zehn Jahre nach seinem Tod als steinerne Statue am Rheinsteig verewigt. Doch inzwischen fehlt ihm die rechte Hand.

Seit wann gibt es den Leopold ohne Hand?

Bis gestern konnte nicht geklärt werden, wann Grossherzog Leopold die rechte Hand abhanden gekommen ist. Allzu lange her kann das nicht sein. Darauf hat uns Burkhard Piper hingewiesen, der uns den Verlust gemeldet hat. Sein Freund Volker habe die Statue 2013 fotografiert, und da war die Hand noch dran, und zwar mitsamt der Urkunde, die der steinerne Leopold am Rheinsteig in der Hand hielt.

Anfangs liberal, dann preussisch gnadenlos

Allzu viele Freunde dürfte Leopold I. nicht haben. Zu Beginn seiner Amtszeit wurde er zwar seiner aufgeklärt-liberalen Haltung gegenüber der zusehends aufblühenden Presse gelobt, ja stellenweise sogar bejubelt. Doch dann machte Preussen Druck, und Leopold zog seinen Erlass zur Pressefreiheut zurück. Er half dann mit, die Badische Revolution von 1848 gnadenlos niederzuschlagen. Dabei mag eine Rolle gespielt haben, dass die Konstanzer Revolutzer mit zwei Kanonen auf die Regierungstruppen schossen, die der Grossherzog der Konstanzer Artillerie ein paar Jahre zuvor geschenkt hatte.

Mutmassungen ohne Grundlage

Unklar ist auch noch, was in der Urkunde stand, die der steinerne Zeuge in der Hand hielt. Ist es eine Nachbildung des ursprünglich liberalen Verfassungsentwurfs gewesen oder ein gestrenger Marschbefehlt an die grossherzoglichen Truppen, die Revolutzer niederzumachen? Schon sind erste Mutmassungen laut geworden, Museumsdirektor Tobias Engelsing habe sich den rechten Arm des steinernen Herzogs für eine Sonderausstellung zum Badischen Revolutionsgeschehen vorsorglich gesichert - eine Mutmassung, die unserer Meinung nach jeder Grundlage entbehrt.

Bilder: Volker+ Frieder Schindele




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Ein Kommentar

  1. 1. Tobias Engelsing

    Der steinerne Großherzog Leopold von Baden trug bisher die badische Verfassung von 1818 in der Hand - die dem beschränkt wahlberechtigten badischen Volk mehr Beteiligungsrechte zugestand, als der Bevölkerung in anderen deutschen Ländern damals gewährt wurde.

    Anfangs gab sich Leopold liberal, auch die Konstanzer huldigten ihm, ein Dampfschiff wurde nach ihm benannt. Doch während der Revolution von 1848/49 versagte der wankelmütige Fürst völlig, floh zuletzt aus Karlsruhe und rief preußisches Militär ins Land, das die Aufstände brutal niederschlug. In der Festung Rastatt wurden die letzten tapferen Demokraten füsiliert. Der spätere deutsche Kaiser Wilhelm I. war als Kronprinz an der Niederschlagung des Aufstands wesentlich beteiligt.

    Vor etwa 25 Jahren waren dem steinernen Leopold Hand und Urkunde schon einmal abgeschlagen worden. Sie wurden nachgebildet und ersetzt. Auch dieses Mal dürften mutwillige Täter am Werk gewesen sein, die vermutlich nicht einmal wussten, wessen Standbild sie da beschädigen. Man muss die historischen Vorbilder der Standbilder am Rheinsteig nicht mögen, aber die pathetischen Herrschaften sind Ausdruck einer vergangenen Denkmalkultur und prägen heute das Stadtbild auf pittoreske Weise.

    Tobias Engelsing

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