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22. Dezember 2021 | Medien und Politik in der Schweiz

Christoph Blocher in jedem Briefkasten?

Konstanz/Thurgau (gro) Die „Kreuzlinger Zeitung“, vor zwei Jahren vom „Südkurier“ übernommen, stellt, wie berichtet, zum Jahresende ihr Erscheinen ein und begibt sich mit ihren publizistischen Aufgaben zumindest vorübergehend unter die Fittiche des Schweizer Rechtspopulisten Christoph Blocher (unser Bild), des Chefs der Schweizerischen Volkspartei (SVP), der stärksten politischen Kraft in der benachbarten Schweiz. Der Stadtrat Kreuzlingen sowie die Gemeinderäte von Tägerwilen, Kemmental und Lengwil haben nun Blochers „Kreuzlinger Nachrichten“ zu ihrem „Amtlichen Publikationsorgan“ bestimmt. Der Vertrag gilt “vorläufig” bis Sommer 2022; im nächsten, im neuen Jahr, soll eine öffentliche Ausschreibung für die definitive und längerfristige Vergabe einer neuen „Kreuzlinger Zeitung“ durchgeführt werden.

„Aus wirtschaftlichen Gründen“

Seit Oktober ist bekannt, dass die „Kreuzlinger Zeitung“, die vor zwei Jahren vom Konstanzer „Südkurier“ übernommen worden war, ihren Betrieb „aus wirtschaftlichen Gründen“ Ende 2021 einstellt, wodurch die Bevölkerung der Nachbarstadt eine beliebte, wöchentlich und kostenlos erscheinende und von Redaktor Kurt Peter hervorragend gemachte Lokalzeitung verliert. Die vom rechtsnationalen Politiker Christoph Blocher, 82, kontrollierten „Kreuzlinger Nachrichten“ werden neues Publikationsorgan für die amtlichen Nachrichten der Gemeindeverwaltungen Kreuzlingen, Tägerwilen, Lengwil und Kemmental, und für allfällige Beiträge engagierter Mitbürgerinnen und Mitbürger.

Für seine Sicht der Dinge

„Blocher in jedem Zürcher Briefkasten?“ titelte die NZZ fragezeichnend schon vor dreieinhalb Jahren. Inzwischen ist die Frage immerhin teilweise beantwortet. Die Belegschaften mancher grosser Zeitungen hören längst aufmerksam auf den rechtskonservativen Übervater und seine Freunde, die sich erfolgreich eingekauft haben in die neoliberale Welt. Dazu riss sich Blocher in den vergangenen Jahren die Mehrzahl der ostschweizerischen Gratisblätter unter den Nagel und schuf sich so ein weitreichendes Verbreitungsfeld für seine Sicht der Dinge.

Bedürfnisse von Bürgen und Institutionen

Der scheidenden „Kreuzlinger Zeitung“ haben in den vergangenen Monaten verschiedene Unternehmen sowie etliche Privatpersonen allerlei Projektideen unterbreitet. Der Beirat aus drei Gemeinden entschied sich nun für eine öffentliche Ausschreibung zur Vergabe des neuen Amtlichen Publikationsorgans, das „den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger sowie den Institutionen (Schulen, Kirchen, Vereine, Gewerbe) nach einem redaktionellen Umfeld Rechnung trägt“.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Sowohl der Gemeinderat von Kreuzlingen als auch die die Exekutiven der Gemeinden Tägerwilen, Lengwil und Kemmental entschieden sich dafür, ihre Amtlichen Publikationen bis im Sommer 2022 in den „Kreuzlinger Nachrichten“ zu publizieren. Angestrebt werde „eine klar definierte, längerfristige Lösung“. Kurzum: Hoffnung bleibt, womöglich aber stirbt sie sehr wahrscheinlich am Ende doch.

Noch ein „Handlungsprogramm“?

Rätselhaft bleibt, warum sich die Stadtverwaltungen von Kreuzlingen und Konstanz nicht besser zusammentun, um längst fällige oder vor sich her und hin geschobene Fragen zu erörtern. Es gibt Handlungsbedarf, jede Menge. Wie wärs zum Beispiel mit einem Konstanzer „Handlungsprogramm Schweiz, Blocher und Publizistik“?



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Ein Kommentar

  1. 1. Bruno Neidhart

    Die Publizistische Landschaft in der Ostschweiz ist überaus stark geprägt von Zürcher Einflüssen der NZZ mit ihren regionalen Blättern und - wie hier aufgezeigt - von einem rechtsnational denkenden Rentner von der Zürcher Goldküste, der seine Gratispapiere in Ostschweizer - und darüber hinaus - Briefkästen verstaut. Parteichef der SVP ist der genannte Herr übrigens nicht mehr. Seine Tochter agiert dagegen als Vizepräsidentin. Dass sich Herr B. im Hintergrund noch immer regt, davon berichten u.a. seine Kolumnen in den “Kreuzlinger/Weinfelder Nachrichten”. Ich würde dieses Kolumnen-Geschwurbel in der Wirkung jedoch nicht überbewerten, ja negieren. Es trieft hier von Wiederholungen. Die Faktenlage ist ja bekannt: sein Ãœbermaß an “nationalem Wulst” bei gleichzeitig “tödlicher Europagegnerschaft” liegt längst archiviert in den Schubladen. Dort ist alles gut gelagert - und verstaubt.

    Was eher bemerkenswert ist: Dass es auch der starke Südkurier nicht schaffte, in Kreuzlingen ein Organ zu platzieren, das publizistisch in die Zukunft hätte weisen können (die vielen Hintergründe zu diesem “Fall” sind mir nicht bekannt). Es ist - ohne Wertung - wiedermal daran zu erinnern, dass Kreuzlingen lange Zeit ein eigenes publizistisches Format mit dem “Thurgauer Volksfreund” besass, obwohl die Stadt damals bedeutend kleiner war. Das entsprechende Pressehaus existiert übrigens in Teilen noch immer….

    Klar: Die Dinge am publizistischen Himmel haben sich durch das Aufkommen digitaler Medien grundlegend verändert, Lesegewohnheiten wurden verschoben, die analogen Medien sind stark verdrängt. Geblieben ist der immense Wert der Anzeigen für den Erhalt eines Mediums als Basis in diesem Geschäft. Und “digital” scheinen in dieser Beziehung die Bedingungen derzeit besser zu funktionieren.

    Wie dem auch sei: Es stünde der Stadt Kreuzlingen (22′500 Einwohner) gut an, sich weiter um ein stadtspezifisches Organ zu bemühen - in welcher Form auch immer. Die Nachbarstädte Kreuzlingen und Konstanz leben zudem an einer der Schnittstellen Europas. Warum wird nicht versucht, gemeinsam ein Organ für bei Städte zu entwickeln, das besonders mit viel nachbarschaftlichem Lokalkolorit bestückt ist? Eben auch mit integrierten “Amtlichen Publikationsorganen”? Ich weiss, man hat es oft schwer zu einer echten, kreativen, binationalen Zusammenarbeit hier am See. Muss das sein? Wer hat da Angst? Wenn ja: vor was? Wäre Publizistisches nicht gerade “das” sinnvolle, übergreifende Medium zur Ãœberwindung solcher Ängste? Ãœberwiegen grundlegende kommerzielle Vorbehalte? Viele Fragen. Sie bleiben offen.

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